Brocken Challenge 2023

Sie geht als „die Nasse“ in die Geschichtsbücher der Brocken Challenge ein. Ein Kampf durch Dauerregen, sturmartigen Böen und gegen körperliche Unterkühlung. Das „härteste Rennen des Nordens“ (Zitat NDR) verläuft auf 80 Kilometern und 2.000 Höhenmetern von Göttingen auf den Brocken. Auch klimatisch eine absolute Herausforderung an diesem 18. Februar 2023 – von rund 9 Grad und Nieselregen in Göttingen bis zu Minusgraden, Dauerregen und Sturmböen auf dem Brocken.

Im Folgenden nehme ich Euch mit meinem persönlichen Bericht auf meine lange spektakuläre, krasse und einmalige (Lauf-)-Reise der Brocken Challenge 2023 mit!

Bewerbung“ für die Brocken Challenge im November 2022

Eigentlich wollte ich 2023 mal wieder Karneval feiern. Nach drei Jahren Abstinenz dachte ich, dass mal wieder Zeit sei. Es kam alles anders. Auf Initiative einiger Lauffreund*innen (gut, ich hatte selbst auch schon mal drauf geschielt), hatte ich mich Anfang November 2022 erstmalig für die Brocken Challenge (BC) beworben. Die Chance sollte 40:60 sein. Ok, ich werde schon nicht ausgelost oder vielleicht doch? Ich bin hin und her gerissen. Eigentlich ist es mir eine Herausforderung zu viel, da ich auch keine Winter-Läuferin bin. Andererseits ist es schon eine coole Challenge und würde trainingstechnisch etwas Schwung in die dunkle Jahreszeit bringen. Zudem ist es ein Wohltätigkeitslauf, der seit 2004 von Markus Ohlef (Verein ASFM e.V.) und seiner Crew mit unglaublichem Engagement veranstaltet wird.

01. Dezember 2022 – das Ergebnis der Auslosung zur Brocken Challenge 2023 wird bekanntgegeben. Bin ich nun dabei oder nicht? Ich schaue morgens auf mein Handy. Bei meiner Trans Alpine-Partnerin Milla hat es nicht geklappt, teilt sie mir mit. Ich öffne meine E-Mails und sehe den Betreff: „Du bist dabei!/ You’re in“. Ach Du Schei..e!! Nach ca. 10 Minuten Schockzustand konnte ich es realisieren – ich laufe am 18. Februar 2023 wohl 80 Kilometer und 1.900 Höhenmeter von Göttingen rauf auf den Brocken – und dies wohl bei winterlichen Konditionen. Brocken Challenge 2023 statt Karneval feiern? Geht auch, Challenge accepted! Nach dem anfänglichen Schock habe ich mich langsam begonnen zu freuen. Ist halt eine Herausforderung – vor allem für mich als bekennende Sommer- und eher Hitzeläuferin. Meine Uhr weißt mir an diesem Tag den höchsten Stressfaktor aus und erinnert mich daran, mich doch mal zu erholen. Ok, ich bin ja noch nicht mal gelaufen?!?

Meine Vorbereitungszeit

Es lief eigentlich ganz gut. Nach meinem letzten Marathon Mitte Dezember im Siebengebirge gönnte ich mir eine kleine (Lauf-)Auszeit. Regeneration muss sein. Anfang Januar begann ich mit meinem intensivieren Brocken Challenge-Approach. Die ersten langen Läufe, schließlich ging es auch zum Training in den Harz. Laufen auf der Strecke des Wettkampfs mit Höhenmetern ist schließlich am besten. Das Training bringt sehr viel Spaß. Ab Mitte/ Ende Januar dann schließlich auch mit Schnee und entsprechend Spikes. Am letzten Trainingswochenende, zwei Wochen vor der BC liefen wir die komplette Distanz in zwei Tagen. Also an einem Tag 50KM, am anderen Tag 30KM. Gut war es, aber auch anstrengend durch den meist tiefen Schnee.

Tapering, Warten und der Wetterbericht

Tapering, also das bewusste Herunterfahren des Trainings ist nichts für mich. Es macht mich nervös. Zipperleien melden sich, ich fühle mich unsportlich. Ich lege die zuvor ausführlich getestete Ausrüstung zurecht. Es darf nichts fehlen. Thermoisolierte Shorts, Überziehhandschuhe, Wärmepads, Spikes – Dinge, von denen ich bis vor Kurzem gar nicht wusste, dass es sie gibt. Der Wetterbericht trägt nicht gerade zu meiner Beruhigung bei. Je näher das Event rückt, desto mehr verschlechtern sich die Aussichten. Von 10 Grad und trocken zu einstelligen Graden und Regen mit Sturm. Dies sollte sich dann (leider) nicht mehr ändern.


Das Briefing

Am Abend vor der BC findet traditionell das verpflichtende Briefing statt. Gemütlich ist es. Zu den Klängen des Didgeridoos, das persönlich von „BC-Chef“ Markus Ohlef gespielt wird, trifft man sich. Bekannte und unbekannte Gesichter, ich fühle mich wohl. Es herrscht Gemeinschaft. Der Flug per Google Earth über die morgige 80KM-Strecke flößt mir Respekt ein. Eine gute Vorbereitung, da auch auf mögliche nicht eindeutige Streckenkennzeichnungen, also „Verlaufgefahren“ aufmerksam gemacht wird. Bei 80KM möchte ich mich nun wirklich nicht verlaufen. Nach dem finalen Carbo-Loading geht es früh ins Bett. Wie erwartet ist mein Schlaf extrem unruhig und kurz.


Es geht los – der Morgen der Wahrheit

Göttingen – soll ja schön sein. Heute morgen habe ich dafür keinen Blick. Zum Ende meines Studiums hatte ich mich einmal an der Göttinger Uni beworben. Lange ist es her. Damals konnte ich keinen Kilometer laufen. Dies hat sich geändert. 80KM sollen es heute werden.

Rund 15 Minuten dauert der Spaziergang zum Start. Stockdunkel ist es. Es nieselt leicht. Eine dezente Einstimmung auf das, was noch dauerhaft und stark folgen sollte. Schön ist es am Start. Viele entspannte aber auch aufgeregte Läufer*innen. Ich stelle mich wärmend an die aufgestellte Feuerschale.

Um 6h morgens fällt am Göttinger Kehr der Startschuss. Überhaupt nicht meine Zeit, vor 11h läuft bei mir in der Regel lauftechnisch gar nichts. Gemütlich ist es. Es nieselt etwas. Fackeln sind am Rand aufgestellt, eine Feuerschale wärmt. Echt nett. Veranstalter Markus Ohlef stimmt die Teilnehmer ein. „Sterne sehen“ und „laues Lüftchen“ – ja ja, von wegen. Ich laufe locker los., mit 169 anderen Läufer*innen und mindestens einem Hund. Erst geht es im Licht der Stirnlampe durch den Göttinger Stadtwald. Gut zu laufen, mit einigen kurzen Matschabschnitten. Was Matsch richtig bedeutet, werde ich erst später erfahren. Ich versuche, mein Tempo zu finden. Nicht zu schnell und nicht zu langsam. Es soll schließlich bis zur Marathondistanz so kräfteschonend wie möglich sein. Ich pendel mich so bei 5:45 Pace ein. Trotzdem fällt es mir sehr schwer, meinen Rhythmus zu finden. Ein schönes Stück geht es bergab. Schön, einfach mal laufenlassen.

Das „Einlaufen“ bis Landolfshausen

Der erste Verpflegungspunkt (VP) in Landolfshausen (10,9KM) liegt an einer Kurve, noch im Dunkeln. Ich passiere diesen VP, ohne etwas zu essen oder zu trinken. Noch vertraue ich meiner Eigenverpflegung aus Getränk, Gels und Riegeln. Der erste kurze Anstieg wartet direkt hinter dem VP. Es wird Zeit, die Stirnlampe auszuziehen. Der Morgen erwacht. Oben könnte die Aussicht an einem schönen Tag grandios sein. Heute sieht man fast gar nichts. Kein sichtbarer Sonnenaufgang, kein weites Land. Geschmeidig laufe ich weiter. Mein Magen rebelliert bei KM12, was mich etwas nervös macht. Sehr früh. Es wird glücklicherweise die einzige magentechnische Rebellion an diesem Tage sein. Ich bin sehr froh, mich für die erste Streckenhälfte für Straßenschuhe (Endorphine Speed 3 von Saucony) entschieden zu haben. Es fühlt sich leicht an.

Alles gut zum Halbmarathon

In Rollshausen (21,8KM) wartet der nächste VP. Alle sind gut drauf – die Läufer*innen, die ehrenamtlichen Helfer*innen. Musik läuft. Ich fülle meine Flask mit Wasser nach. Mein Mann wartet wie bei jedem VP auch hier auf mich. Er filmt mich. So gut und frisch wie in Rollshausen sehe ich heute nie wieder aus. Es geht weiter über die Lande. Beinahe hätte ich eine Wegabzweigung übersehen. Ein aufmerksamer Anwohner gibt Laut und die vor mir Laufenden werden zurückgepfiffen. Vielleicht doch besser mit direktem Blick auf die Uhren-Navigation laufen. Ich sollte aus meiner „Verlaufaktion“ beim Siebengebirgs-Marathon gelernt haben. Tillys Eiche naht. Davon hatte ich vorher Fotos auf der Website und beim Briefing gesehen. Schlammig ist es dort. Ich rutsche und rutsche. Kann mich mit meinen Straßenschuhen kaum auf den Beinen halten. Vor allem bergab ist es eine absolute Schlitterpartie. Eine Läuferin mit Barfuß-Schuhen überholt mich. Das ist sicher hier im Schlamm besser. Aber über die gesamten 80Kilometer? Respekt. Sie läuft seit Jahren damit, erzählt sie mir. „Ich kenne nichts anders.“ Ich bin froh, als ich wieder „normal“ laufen kann. Dieser vergleichsweise kurze Abschnitt hätte Trail-Schuhe aus meiner Sicht nicht gerechtfertigt.

Die ersten 30 sind geschafft

Die Uhr zeigt mir KM30 an. „Ab jetzt sind es nur noch 50KM“ – ruft ein Mitläufer mir zu. Ok, die Distanz des letzten Trainingswochenendes. Sollte doch zu schaffen sein.

Der VP in Rhumequelle (30,7KM) empfängt mich wiederum sehr freundlich, mit Megaphone-Durchsage. Ich fülle meine Getränke- und Energiespeicher wieder auf.

Die Strecke wird welliger. Der Schlamm klebt mir noch an den Schuhen. Oder werden einfach meine Beine schwerer? Ich versuche, mir meine Energie gut einzuteilen. Schließlich will ich auf jeden Fall oben auf dem Brocken ankommen. Wenn möglich als „Daylight“-Finisher, also unter 12 Stunden. Bei KM40 laufe ich mit zwei Läufern, die mich schon bei KM30 begleitet haben. Wir treffen uns wohl nur bei glatten Kilometerzahlen. Beide laufen in kurzen Hosen. Ich denke über meine Kleidung nach. Am VP Barbis habe ich zur Marathon-Distanz Wechselkleidung deponiert. Meine Trail-Schuhe mit frischen Socken sind gesetzt. Aber was ist mit dem Rest? Soll ich die erste Thermo-Schicht und das zweite wärmende Shirt wechseln? Das Thermo-Shirt erscheint mir zum Wechseln zu anstrengend, da es eh dann nach kürzerer Zeit wieder komplett durchnässt wäre. Wie viele Gels und Riegel nehme ich noch mit? Ich vertage diese Entscheidung. Nicht sonderlich klug, da es in Barbis dann doch etwas hektisch wird.

Schon die Marathon-Distanz erreicht

Beim Einlauf zum Marathon-VP Barbis sehe ich Hanna mit ihrer Hündin Malouna. Wir sind zusammen „Crossing Germany – Lauf durch die Mitte“ in 2021 gelaufen. Welch Freude!! Ich umarme beide. Zur Umarmung der Hündin komme ich noch runter… Bald darauf streckt mir mein Mann meine Wechselkleidung etc. entgegen. Er ist einfach ein unglaublicher Support, in jeder Hinsicht!! Es geht in ein eigens aufgebautes „Umkleidezelt“ des Veranstalters. Nett ist es hier, vor allem windgeschützt und trocken. Ich unterhalte mich mit zwei Mitläufern, die sich ebenfalls umziehen. Ich wechsel die Socken und ziehe Trail-Schuhe (Saucony: Xodus Ultra) an. Desweitern tausche ich meine zweite Schicht gegen ein dickeres Shirt aus. Wie angenehm. Allerdings stelle ich fest, dass meine Thermo-Jacke sehr nass ist. Dann hat es wohl doch die ganze Zeit durchgehend stärker geregnet. Hatte ich mich wohl dran gewöhnt. Das Umziehen verläuft in Zeitlupe und gefühlt bin ich Ewigkeiten in dem Zelt. Aber es ist doch so gemütlich hier. „Glühwein wäre jetzt schön. Dann könnten wir hier drin bleiben“, meint der Mitläufer, der sich die Wechselkleidung von seinem Sohn anreichen lässt. Auch schön, aber ich will doch auf den Brocken. Wieder draußen stopfe ich Gels und Riegel in die Tasche und laufe los. Ich verlasse die Marathon-Distanz inklusive Wechselkleidungs-“Zeremonie“ nach 4Std. 39 Min. Hanna und Malouna begleiten mich noch einige Kilometer rauf auf den Berg. Ich habe ganz gute Energie. Mein Maurten-Drink sollte mir Kraft geben. Jetzt soll – laut vieler Berichte und dem Veranstalter – die Brocken Challenge erst richtig losgehen. Schaun wir mal. Ich bin ja von Natur aus neugierig.

Die Entsafter

Neugierig bin ich auch auf die vielfach erwähnten Entsafter. Zwei gibt es davon – Entsafter Part I und Part II. Die Streckenbezeichnung sollte für sich sprechen. Der erste Entsafter lässt nicht lange nach der Marathon-Distanz auf sich warten. Ist ganz idyllisch hier, am fließenden Fluss entlang. Es geht kontinuierlich nach oben. Eigentlich nicht steil. Zum Gehen zu flach, zum Laufen auf Grund der Distanz zu steil und lang. Zumindest für mich. Was tun? Ich entscheide mich für einen Mix. Der Regen wird gefühlt stärker. Vor allem wird der Wind immer unnachgiebiger. Auf diesem Stück mal von hinten, vorne oder von der Seite. Endgültig wird nun die Kapuze anbehalten. Ansonsten kein Freund von Kopfbedeckungen ist dies unabdingbar. Es zieht und zieht sich.



Flask mit Schlamm

Kilometer 50 ist erreicht. Ich feier etwas. Jetzt sind es „nur“ noch 30 Kilometer. Also ein fast ganz normaler langer Trainingslauf. Mitten im Nirgendwo taucht VP Nummer 5, Jagdkopf bei 53,8km auf. Eine Schutzhütte mitten im Schlamm. Mir fallen erst einmal meine Handschuhe, dann meine Flask in den Schlamm. Ungünstig, denke ich. Hat Schlamm auch Elektrolyte? Ich werde den Geschmack wahrscheinlich niemals vergessen. Ein älterer Helfer kümmert sich um mich. Irre – mit welcher Begeisterung, Freude und auch Gelassenheit ob des Wetters die ehrenamtlichen Helfer*innen für uns sorgen. Ich verlasse den VP schnell, bevor ich noch im Schlamm stecken bleibe. Die Vorfreude auf Entsafter 2 steigt. Wird wohl ähnlich sein, denke ich mir. So ist es. Fast. Einige Baumstämme liegen im Weg. Diese gilt es zu überklettern. Klappt eigentlich noch ganz gut, in Anbetracht der Kilometerzahl. Es geht hoch, ich bin komplett dem Wind und Regen ausgesetzt. Der Wind peitscht und peitscht, der Regen prasselt auf mich nieder. Einmal nass kann es ja nicht schlimmer werden. Doch es kann. Ich werde es später noch erleben.

Das große Zittern

Kurz vor dem VP Lausebuche (63,1km) sehe ich meinen Mann. Mitten im nirgendwo. Er filmt mich. Ich sehe wohl sehr angestrengt und laufe in vielzu gebeugter Haltung. Ich rechne vor: „Noch 17 Kilometer.“ Hört sich nicht mehr dramatisch an. Getränke gibt es hier aus einem Transporter heraus. Die Helfer*innen bewundere ich weiterhin zutiefst. Es ist nicht gemütlich hier. Ein Läufer verliert seinen Handschuh, ich schreie ihm hinterher. Dankbar nimmt er sein Fundstück entgegen. Er hätte es sicher auch kurz später gemerkt. Apropos Handschuhe – mein Konzept aus wärmenden Finger-Handschuhen und wasser-/ windfesten Fäustlingen ist gut. Meine Hände sind nicht kälter als der gesamte Körper. Ein Plus. Wie nass meine Handschuhe wirklich sind, zeigt sich, als ich mal kurz die Hände ausschütteln möchte. Kurz die Hände hoch und das komplette Wasser (gefühlt literweise) ergießt sich in meinen Arm. Auch das nehme ich mit Humor. Ist eh alles kalt und nass. Überhaupt habe ich das Gefühl, dass ich zittere. Und ja, ich zittere wohl seit Kilometer 60 vor Kälte und Nässe. Es ist ein für mich ungewohntes Gefühl, da ansonsten bei mir beim Laufen nur bestimmte Körperpartien kalt sind (meist die Hände). Hier ist einfach alles kalt. Es hilft nichts. Ich muss noch eine Wind-/Regenjacke über meine heißgeliebte und sehr funktionstüchtige Thermo-Jacke drüber anziehen sowie endlich meine wärmenden Hüftshorts.


Mache ich weiter?

„Nur“ fünf Kilometer entfernt von der Lausebuche ist der VP Königskrug. Es fällt hier schwer, mit Konzentration die vielbefahrene Bundesstraße zu überqueren. Ein Herr kommt mir entgegen und notiert meine Startnummer. Wie an jedem VP bei der Brocken Challenge. Dies dient der Sicherheit der Teilnehmer*innen. „Du machst weiter, oder?“ Ja klar, was soll diese Frage? Ich denke nicht eine Sekunde ans Aufhören. Später höre ich, dass wohl viele an dieser Stelle wegen Unterkühlung aufgegeben haben. Nein, solange meine Füße mich tragen und ich mich stark fühle (das tue ich!), mache ich weiter. Es ist eben nur die dauernde Kälte und das nicht mehr enden wollende Zittern am ganzen Körper. Trotzdem wird es hier noch einmal ungemütlicher. Das Wetter ist nicht besser geworden. Der VP liegt in einer riesigen Wasserpfütze. Ich pusche mich mit Cola. Früher ging bei mir Cola während oder nach dem Laufen gar nicht, jetzt ist es toll. Wohl eine Ultra-Erfahrung. Das Wiederanziehen der Handschuhe wird zu einer Tortur. Total aufgequollen passen meine Finger nicht mehr wirklich in die Handschuhe. Ich versuche die Finger irgendwie gegenseitig zu wärmen. Es hilft. Die Finger passen wieder und die Handschuhe sitzen. Zumindest einigermaßen.

Schnee und Eis – auch das noch!

Aus dem „Pfützen“-VP herausgelaufen (Füße und Schuhe wurden nicht trockener…) wartet eine nächste, nicht ganz unerwartete Challenge: Schnee bzw. eher Eis. Gut, ist nicht das Problem. Eher das Herausholen und Anziehen der Spikes/ Schneeketten. Ich gehe an den noch leicht begrasten Wegesrand und packe meine Spikes aus. Kaum Gefühl in den Fingern, der ganze Körper zittert weiterhin. Zwei Läufer gesellen sich zu mir. Wir helfen uns gegenseitig. Eine sehr gut investierte Zeit. Ohne Spikes wäre ich wortwörtlich am Ende gewesen.

Und da taucht sie aus dem nirgendwo auf – meine Trans Alpine-Partnerin Milla. Sie hatte über eine Stunde gewartet, war mir entgegengelaufen. Ich freue mich einfach nur. Das ist Wahnsinn. Unglaublich. Bei diesem Wind und Wetter hier rauszukommen. Sie macht Fotos. Ich lächele etwas gequält. Das Zittern will nicht aufhören. Ich fühle mich trotz Spikes etwas unsicher auf dem Eis. Jeder Schritt ist eher eine Zitterpartie, obwohl die Spikes sehr guten Halt geben. Wasser kommt uns entgegen. Alle paar Meter sinke ich irgendwo im Eiswasser ein. Ist jetzt auch egal, denke ich. Auch wenn ich knöcheltief im eiskalten Wasser stehe, nehme ich es mit Humor. Schön, dass ich das machen darf! An die Bedingungen muss sich halt angepasst werden.


Die letzten 8 KM auf den Brocken

Wegen meines Zitterns entscheide ich mich nun, die Stöcke einzusetzen. Damit habe ich doch wohl hoffentlich mehr Stabilität. Ab VP 8, dem letzten VP bei der Brocken Challenge, werden diese in Betrieb genommen. Wir sind in Oderbrück bei KM 72,4. Also nur noch 7,6 Kilometer bis zum Ziel, dem Brocken. Dies sollte zu schaffen sein. Ich entscheide mich für Brühe. Wahrlich nicht meine Lieblingsspeise, so wird diese Brühe nun zum absoluten Genuss. Vor allem wunderbar wärmend. Zumindest für ein paar Sekunden. Ca. 15 Uhr haben wir jetzt. Ein Daylight Finish sollte möglich sein.

Die letzten Kilometer ziehen sich. Milla redet mir gut zu. Es tut mir leid um sie. Ich gehe meist. Wenn ich laufe, dann ist es nicht viel schneller als Gehen. Auf dem Neuen Goetheweg, den ich so oft schon gelaufen bin. Heute eben mal anders. Die Brockenbahn kommt uns entgegen. Ist einfach schön und gehört zum Brocken dazu. Viel zu sehen ist ansonsten nicht, es ist grau in grau. Milla verabschiedet sich. Sie muss noch zum Auto zurück und sollte dies im Hellen machen. Sie fragt mich, ob ich das auch mental bis oben schaffe. Ich bejahe aus vollster Überzeugung. Bisher habe ich noch in keinster Weise in meine Mental-„Trickkiste“ greifen müssen. Dies wird sich auch nicht ändern.


Die Brockenstraße – das Ziel naht

Endlich auf der Brockenstraße. Hier könnte ich die Spikes abnehmen. Der zitternde Körper sowie die nicht mehr funktionstüchtigen Hände lassen dies aber nicht zu. Egal. Es geht weiter. Der Brockenbahnhof – von hier aus ist es nicht mehr weit. Mir laufen Tränen übers Gesicht. Hatte ich noch nie bei einem Lauf. Ich habe es gleich tatsächlich geschafft. Es ist alles surreal. Aus dem Nichts erkenne ich im Nebel, Wolken, Regen und Sturmböen die Umrisse der typischen Brocken-Silhouette. Von weitem winken dumpfe Gestalten. Es ist einfach nur irre, was diese Menschen hier und heute geleistet haben. Ich werde mit extrem warmen Worten von der Leiterin des Hospiz an der Lutter in Göttingen empfangen. „Du hast es geschafft.“ Ich frage ungläubig: „Wirklich?“ Ich breche mit einer Tradition – heute gibt es mal kein Foto vom Brocken-Stein. Was sonst immer ein „Muss“ ist, ist heute unwichtig. Ich habe es geschafft.

Ich werde zum Eingang des Goethe-Saals begleitet. Endlich ins Warme. Ich kann es nicht fassen. Uhr stoppen, Spikes aus, hoch die Wendeltreppe (tat gut..). Medaille, Drop-Bag. Alles läuft wie ein Film ab. Ich betrete immer noch zitternd den Saal. Es wird applaudiert. Jede(r) Finisher*in wird hier gefeiert. Ich habe es geschafft – 80 Kilometer und 2.000 Höhenmeter in 11 Stunden und 7 Minuten. Das ganze auf „meinen“ Berg, der mir schon so oft viel im Leben „gerettet“ hat. Es fällt alles von mir ab. Der Brocken hat mir immer ein tolles Gefühl gegeben, ich habe ihn immer genossen. Auch heute. Irgendwie schon.

Der Fuß-Rückweg vom Brocken runter

Zurück vom Brocken runter geht es zu Fuß. Wie auch sonst, schließlich ist die Brockenstraße für Autos gesperrt. 7,6 Kilometer bis Oderbrück. Das Wetter hat sich nicht geändert. Es ist noch etwas kälter geworden und der Wind bläst von vorne. Auch das überstehe ich. Heute kann mich nichts mehr stoppen. Wesentlich wärmer ist mir – nach der warmen Dusche und dem ausgiebigem Buffet mit vegetarischer Lasagne. Auch die Massage im Goethesaal hat mir extrem geholfen. Toll, was die Helfer*innen auch nach dem Ziel noch alles leisten.




Das Fazit

Es war ein krasser Tag, ein unglaubliches Erlebnis. Der Wahnsinn oder doch nur bekloppt?

„Das war eine der härtesten Challenges seit der Premierenveranstaltung 2004“, sagte Brocken-Challenge-Initiator Markus Ohlef später. Und ich war dabei. Insgesamt erreichten 135 Läufer*innen das Ziel auf dem Brocken. Finisherquote: 79,4%. So gering wie selten bei der Brocken Challenge. „Kalt, hart, schön“ ist das BC-Motto, an diesem Tage eher „nass, windig, extrem“.

Ich möchte an dieser Stelle den Organisatoren sowie den zahlreichen ehrenamtlichen Helfer*innen danken. Es war unglaublich, was diese Menschen bei Wind und Wetter geleistet haben. Wie schon erwähnt ist die Brocken Challenge ein Spendenlauf. In diesem Jahr sind 31.500 Euro durch Startgelder etc. zusammengekommen. Diese kommen sozialen Einrichtungen in der Umgebung (wie dem Hospiz an der Lutter Göttingen, Die Blechtrommel, Neues Land etc.) sowie der Gesellschaft zur Förderung des Nationalparks Harz zu Gute.

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