Großglockner Ultra Trail 2024

Es ist ein Lauf, den ich immer schon einmal machen wollte – den Großglockner Ultra Trail (GGT 55) mit 57 Kilometern und 3.500 positiven sowie 4.000 negativen Höhenmetern. Hatte ich mich vielleicht bisher noch nicht getraut, den mit 3.798 Metern höchsten Berg Österreichs zu umrunden? Nachdem ich im letzten Jahr den Madrisa Trail mit einem ähnlichen Anforderungsprofil sowie den 7-tägigen Transalpine Run finishen konnte, fühlte ich mich zumindest „bereiter“. Dass dieser GGT 55 als sehr anspruchsvoll und technisch geltender Lauf, der nur für sehr erfahrene Trailläufer mit alpiner Erfahrung (laut der Veranstalter-Website) geeignet sei, mich über meine Grenzen hinausbrachte und ein Wechselbad aus Lebensgefahr und Super-Gaudi verursachte, war mir vorher dann doch nicht so bewusst.

Früher Start in Karls

Kaprun (Österreich), Samstag, 27. Juli 3:45 Uhr – mein Wecker klingelt. Langsam aufstehen, Kaffee zubereiten, kurz waschen, Laufsachen an, Flasks befüllen. Um 4:30 Uhr wanke ich gemeinsam mit Regine und Ingemar zum Parkplatz, von wo aus uns der Bus an den Startpunkt des GGT 55 in Karls am Großglockner bringt. Es ist ruhig im Bus, niemand spricht ein Wort. Wie immer diese Frage – was machen wir hier eigentlich? Freiwillig am Wochenende so früh aufstehen, um 57 Kilometer durch die Berge mit massiven Höhenmetern zu laufen? Eine kleine Antwort erhalte ich während der Fahrt durch die Bergwelt rund um den Großglockner. Es ist schon atemberaubend, die imposanten Berge im Sonnenaufgang zu beobachten. Die meisten Gipfel sind noch etwas wolkenverhangen. Gewitter sind für den Tag gemeldet. Schauen wir mal.

Ungewohntes Toiletten-Glück

Nach rund 1,5 Stunden erreichen wir Karls. Hier gibt es ein Novum für mich. Die Damen-Toiletten sind fast frei, vor den Herren bilden sich meterlange Schlangen. Obwohl gerade für mich und die anderen Damen günstig und ungewohnt (muss sofort ausgenutzt werden!), denke ich nach. Laufen immer noch so wenige Frauen Ultra-Trail-Wettkämpfe? Eigentlich schade, dass sich immer noch zu wenige trauen. Warum? Letztlich werden den 57km langen Wettkampf 342 Männer und 125 Frauen finishen. Im Verhältnis haben wesentlich mehr Männer als Frauen das Rennen vorzeitig beendet (sogenannte DNFs).

Auf zur Glorer Hütte (2.642m)

Um 7:30 Uhr geht es los. Ein episches Abenteuer beginnt. Nicht meine Zeit, aber gut. Es geht bald bergauf. Die Stöcke habe ich schon ab Start einsatzbereit in den Händen. Auf der alten Glocknerstraße führt uns der Weg zum Lucknerhaus, von wo aus sich schon ein toller Blick auf den Großglockner bietet. Ist schon schön hier, aber auch anstrengend. Wanderer gesellen sich zu uns Läufern. Läufer? Eine Läuferin bin ich bei diesem Anstieg nicht, eben auch eine Wanderin. Eher der hektischeren Natur, da ich das Dach der Runde, die Glorer Hütte auf 2.642 Metern schnellstmöglich erreichen möchte. Das Time Limit sah 4 Stunden hierfür vor, ich erreiche die Hütte nach 2 Stunden und 10 Minuten. Schnell die Flask auffüllen und dann geht es auch schon bald leicht bergab. Eigentlich ganz gut laufbar, denke ich. Trotzdem ziehen Läufer an mir vorbei. Technische Downhills sind immer noch nicht meins. Ich bin da einfach zu ängstlich und gehe lieber auf Nummer sicher und bewege mich langsam.


Erste Gefahrenstelle – Seil-Passage

Ein wunderschöner See liegt mir zu Füßen. Einfach schön hier und von Gewitter noch keine Spur. Es geht weiter, immer weiter. Auf einmal gibt es Stau vor mir. Ich sehe die Bergwacht und erinnere mich an eine als „gefährlich“ markierte Stelle in der Tourenbeschreibung. Ein exponierter Felsen mit Draht-Seil! Einzeln gehen wir vorsichtig an dem Felsen vorbei. Mir hilft es, dass ich schwindelfrei bin. Aber groß nach unten schauen möchte ich auch nicht.


Tiefenentspannung pur

Plötzlich werden wir von einem Herrn der Bergwacht wieder gestoppt. Gegenverkehr! Wanderer mit großen Rucksäcken kommen uns entgegen. Respekt. Wir haben nur unsere Laufwesten mit 2 bis 3 Kilo. Der Läufer hinter mir schaut mich verängstigt an. Er steht etwas instabil. Ich frage ihn, ob alles ok sei. Er ist sich nicht sicher. Der Herr von der Bergwacht bemerkt unsere Konversation und lässt uns weitergehen. „Aber ganz langsam.“ Klar, ich lasse mich seit einiger Zeit durch nichts und niemanden aus der Ruhe bringen. So auch heute nicht. Komplett tiefenentspannt gehe bzw. klettere ich um den Felsen. Das Seil fest in der Hand. Diese Passage ist nun bald zu Ende. Toll, dass hier die Bergwacht geholfen hat. Immer mit einem Lächeln im Gesicht und sehr kommunikationsfreudig. Oftmals auch mit viel gutem Zureden und Motivation für uns Läufer. Das können wir heute auch gut gebrauchen.

Nun geht es weiter bergab bis zu einer Staumauer am Stausee Margaritze. Ich bin froh, mal einige Meter eben laufen zu können. Das tut mir immer gut. Hinauf geht es über das Glocknerhaus, der zweiten Verpflegungsstation.


My „happy place“: Gipfelkreuz

Ich erblicke ein Gipfelkreuz. Immer sehr schön. Es ist immer das „happy place“ für mich. So auch heute. Die untere Pfandlscharte (2.663m) ist erreicht. Bisher sind wir nur über ein kurzes Schneefeld gelaufen. Ich weiß, dass noch ein längeres folgt, was auch als gefährlich eingestuft wird. Nun traue ich meinen Augen kaum. Ich sehe ein riesiges Schneefeld, das steil nach unten geht. Im Vorfeld hatte ich noch überlegt, Grödel mitzunehmen. Da es sich um Altschnee handelt und das Schneefeld auch durch Seile gesichert sei (wie der Veranstalter vorher mitgeteilt hat), verzichtete ich darauf. Im Nachhinein hätten Grödel in diesem Fall auch nicht geholfen.


Steilabfallendes Schneefeld – Erfahrung aus Lebensgefahr und Super-Gaudi

Ich schaue auf eine Schar von Läufern, die versuchen, das steile Schneefeld runterzugehen. Den wenigsten gelingt es. Ich mache erstmal Fotos. Das muss doch festgehalten werden. Gut, dass ich noch nicht weiß, wie lang und steil das Schneefeld noch wird. Nun muss ich da auch runter. Auf den Fotos schaut das Schneefeld bei Weitem nicht so steil aus wie es in Wirklichkeit ist. Ich sehe zwei gespurte „Rodelbahnen“. Das habe ich schon lange nicht mehr gemacht. Vor allem nicht ohne Schlitten bzw. „ohne alles“. Ich versuche langsam, auf Stöcke gestützt, zu gehen. Ich komme nur langsam voran. Einige „rodeln“ an mir vorbei. Ok, ich setze mich auf meinen Hosenboden und rutsche das Schneefeld runter. Ist echt total lustig und bringt Spaß. Zumindest am Anfang bzw. solange mein Hinterteil noch nicht komplett eingefroren ist. Es wird kalt. Meine Shorts, die glücklicherweise auch einen eingenähten Radler haben, füllen sich mit Schnee und Geröll. Erstmal bremsen und die Shorts ausschütteln. Ich überlege, was ich machen soll. Gehen oder Rodeln auf den Shorts? In mich rodelt eine andere Läuferin. Bremsen ist nicht jedermanns Stärke. Ich falle in den Schnee. Dann kann ich eigentlich gleich sitzen bleiben und rodeln. Die Bergwacht beobachtet uns. Gut, dass sie da sind. Ich erblicke ein von der Bergwacht extra angebrachtes Seil. Es liegt auf dem Boden. Alle versuchen, sich daran festzuhalten und irgendwie hinunterzugehen oder zu rodeln. Wer Ski oder Snowboard beherrscht, ist hier sicherlich im Vorteil. Ein Läufer tänzelt auf seinen Schuhen im Slalom die Piste herunter. Er bekommt Applaus. Das nächste Mal werde er Kurz-Ski mitnehmen. Diese hätten mir als Nicht-Skiläuferin auch nicht geholfen. Ich hangel mich Meter um Meter auf dem Hinterteil am Seil krallend das immer steiler werdende Schneefeld hinunter. Steiler und steiler. Es gibt auch immer mehr Geröll und große Felsen. Gegen diese sollte ich nicht fallen. Gut, dass mein Hinterteil größtenteils eingefroren ist. So spüre ich die Steine und das Geröll nicht.

Auf einmal ist wieder Stau. Es scheinen einige Läufer ineinander gerodelt zu sein. Eine beängstigende Situation. Gut, dass auch hier die Bergwacht zur Stelle ist. Insgesamt sind es wohl 140 Bergretter auf der gesamten Strecke. Ich bleibe auf dem Schnee sitzen, entspannen kann ich allerdings eher nicht. Nach einer gefühlten Ewigkeit geht es endlich weiter. Der vor mir kämpfende Läufer versucht, immer wieder aufzustehen, was ihm nur kurz und bedingt gelingt. Ich muss immer wieder warten. Leider kann ich nicht gut bremsen. Zudem sind meine Hände durch das Seil schon etwas beansprucht. Die Handschuhe der Stöcke helfen zwar, decken aber nur die Handflächen und nicht die Finger ab. Ich fluche. Es ist eine absolute Grenzerfahrung, zwischen Lebensgefahr und Super-Gaudi. Ich habe Sorge, mit zuviel Schwung die Kontrolle auf dem Schneefeld zu verlieren und möglicherweise gegen einen Felsen oder mehrere Hundert Meter in die Tiefe zu fallen. Andererseits hat mir Rodeln schon als Kind Spaß gebracht, so ist es zeitweise auch heute. Wenn nicht mein Hinterteil so kalt und voller Schnee und Geröll wäre. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreiche ich das Ende des Schneefeldes. Als erstes überprüfe ich, ob ich noch alle Körperteile habe. Es scheint so und es bewegt sich alles. Zumindest so einigermaßen. Nun checke ich meine Hose. Hab ich überhaupt noch Stoff oder bin ich blank? Es scheint alles gut. Nun schüttele ich meine Hose aus. Es hatte sich doch einiges an Schnee und Geröll festgesetzt. Und durchnass ist die Hose auch, aber egal. Ich habe es geschafft! Welch Glück. Überlebt! Dass ich so etwas mit Ende 40 noch erleben darf.

Sturz im Downhill

Ich muss mich erstmal sammeln. Neben meinem Hinterteil sind auch meine Hände eingefroren. Ich checke meine weitere Ausrüstung. Auch hier scheint alles gut zu sein. Fast ein Wunder. Über ein Geröllfeld und einen Fluss geht es weiter. Nach dem extrem steilen Schneefeld eine absolute Wohltat. Schon bald geht es bergab, ein sehr technischer Downhill kündigt sich an. Meine Hände sind immer noch eingefroren. Das wird noch dauern. Die Option, mit Stöcken zu laufen, erledigt sich somit. Ich kämpfe mich den Berg herunter. Es ist nicht einfach, nach dem kräftezehrenden Schneefeld hier die dringend benötigte Konzentration zu wahren. Irgendwie geht es, aber ich bin auch sehr vorsichtig und langsam. Ich lasse viele Läufer an mir vorbei. Safety first. Ein älterer Herr läuft vorbei und gerät ins Stolpern. Leider fällt er auf den Kopf und blutet stark. Mit einigen anderen Läufer leiste ich Erste Hilfe. Es scheint ihm gut zu gehen. Wir rufen die Notrufnummer des Veranstalters an. Glücklicherweise kann der Läufer noch selbständig langsam herunter gehen. Wir gehen hinter ihm her. Echt unglücklich und leider kann ein Sturz bei diesen technischen Passagen sehr schnell passieren. Oder war er einfach zu schnell unterwegs? Ein anderer Läufer erzählt mir hinterher, dass er dem gestürzten Läufer schon vorher gesagt habe, dass er langsamer laufen solle, da er schon zwei Mal vorher gestürzt war. Tja.
Wir erreichen die Trauneralm. Dort übernimmt das Medical Team den gestürzten Läufer. Ich gehe noch ein Stück mit den Anderen. Körperlich konnte ich mich gut erholen. Psychisch ist es gerade schwierig. Der Sturz ist nicht spurlos an mir vorbeigegangen. Ich unterhalte mich mit einigen Mitläufern. Einer fragt, wie es mir denn gehe. Ja, es geht. Es wird flacher und wärmer. Die Wärme liegt mir und das Flache auch gerade. Ich laufe langsam an und versuche, etwas „flow“ zu bekommen. Es gelingt, zumindest auf niedrigem Niveau. Wenigstens schaffe ich hier einmal etwas Strecke. Über Ferleiten geht es nach Fusch an der Glocknerstraße. Die Cola an den Verpflegungsstationen ist einfach grandios. Ich genieße jeden Schluck und spüre, wie ich wieder zu Kräften gelange. Ab hier sind es „nur noch“ 15 Kilometer bis ins Ziel nach Kaprun.

Der letzte Anstieg bei KM 43: Anstrengend aber nicht überraschend

Ich weiß, dass noch ein Anstieg bevorsteht. Dieser beginnt ca. bei Kilometer 43. Ich schaue auf meine Uhr. 850 Höhenmeter fehlen noch. Ich war darauf vorbereitet. Trotzdem verbreitet die nackte Wahrheit auf meiner Uhr keine Heiterkeit bei mir. Aber es ist ja nicht zu ändern.

Es geht wieder bergauf. Erst moderat, dann etwas stärker. „Wir setzen unseren Leidensweg fort“, sagt ein Läufer zu mir. Es fühlt sich fast so an. Allerdings machen wir das ja alle freiwillig. Leiden gehört halt zum Ultralauf dazu. Ein Läufer, der die (auch angebotene) 106 Kilometer lange Strecke läuft, muss sich vor mir übergeben. Er ist nicht der einzige heute. Es sind aber auch hohe Temperaturen und die Strecke ist lang und nochmals lang. Überhaupt habe ich einen unglaublichen Respekt für alle Läufer, die die 106 km lange Strecke laufen. Dagegen sind unsere 58 km fast ein „Bambini“-Lauf.

Frisches Quellwasser wird mir angeboten. Ich freue mich. Endlich scheinen wir den Gipfel erreicht zu haben. Ich schaue auf meine Uhr. Noch 20 Höhenmeter. Das schaffe ich! Es geht bergab, schön auf breiten Forststraßen. Ich genieße es. Nach dem ersten eher spektakulären Teil der Strecke, erscheint der zweite Teil eher langweilig. Keine besonderen Höhepunkte mehr. Das muss für mich heute auch nicht mehr sein. Ich hatte genug Abenteuer.

Technischer Downhill bei KM 53: Nervig und überraschend

Ich habe mich schön eingelaufen auf dem breiten Forstweg. Auf einmal zweigt die Strecke ab. In einen dunklen Single-Trail. Das kann doch nicht wahr sein. Hinter mir ruft ein Läufer „Das war so klar. Ich hab da jetzt keinen Bock mehr drauf.“ So geht es mir auch. Es geht tatsächlich bei Kilometer 53 (also 4 Kilometer vorm Ziel) noch auf einem teilweise sehr steilen Singel-Trail mit Wurzeln, Steinen und Flussläufen bergab. Ich könnte schreien. Nein, ich möchte auch Kräfte sparen. Ich überlege kurz, das Licht an der Uhr einzuschalten. Die Stirnlampe möchte ich nicht aus der Laufweste kramen. Eigentlich ist es von der Tageszeit noch nicht dunkel, aber der dichte Wald bietet wenige Lichtblicke. Ich kann kaum etwas sehen. Es nervt mich einfach nur noch. Nicht lange handern, einfach weiter machen. Ich will schließlich ins Ziel.

Geschafft – das Ziel!!

Nach einer wieder gefühlten Ewigkeit höre ich die Sprecherin im Zielbereich von Kaprun. Es geht noch einmal auf einer Straße Richtung Kaprun Innenstadt. Die letzten Meter möchte ich noch genießen. Ich erreiche den Salzburger Platz in Kaprun, der noch sehr gut besucht ist. Ich bin immer noch genervt, aber auch erleichtert, es geschafft zu haben. Insgesamt sind es knapp 58km mit 3.500 positiven und 4.000 negativen Höhenmetern, vorbei an fünf Gletschern, rundherum knapp 300 Gipfel mit mehr als 3.000 m (laut Veranstalter). Es war ein episches Abenteuer und Grenzerfahrung, zwischen zeitweise Lebensgefahr und Super-Gaudi. Ich bin froh und auch ein wenig stolz, es geschafft zu haben. Der Veranstalter hat wirklich alles gehalten was er an Anspruch, Schwierigkeit etc. an die Strecke versprochen hat. Dazu noch ein atemberaubendes Schneefeld.. Ich bin wohl auch noch nicht alt genug, um „anständigere“ Dinge im Leben zu machen….

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