Der Brocken Marathon – 42,2 Kilometer und 1.180 Höhenmeter rund um Norddeutschlands höchsten Berg, mit Start und Ziel in Wernigerode (Sachsen-Anhalt). Wie ist es mir im Nationalpark Harz ergangen?
Mein persönlicher Rennbericht
Der – wie man und der Veranstalter sagt – schwerste Marathon Norddeutschlands sollte es diesmal sein – der Brocken Marathon. Eigentlich meine „Hausstrecke“, was zumindest den Anstieg ab Ilsenburg bis zum Brocken angeht. Hier fahre ich öfter mal hin. Ist es immer ein Vorteil, wenn man die Strecke kennt? Zuerst einmal plagten mich vor dem Start andere Sorgen. Durch meine Trainingspause und dem daraus folgenden eher sanften Wiedereinstieg hatte ich die letzten zwei Monate nicht wirklich viele Kilometer gesammelt. Ein etwas längerer Lauf von 26 km, zudem zwei Trainingstage im Harz mit Gesamt 50 km. Während dieser Tage lief ich auch meine gewohnte Strecke, den Brocken, hoch und kam auf 36 km, die sich gut anfühlten. Es könnte klappen. Längst war ich aber nicht in der Form des Frühlings und Sommers. Es fühlte sich zumindest nicht so an.
Der Tag davor: Eine läuferische Katastrophe
Der letzte Lauf einen Tag vor dem Brocken Marathon ging gewaltig in die Hose. Eigentlich nur ein kurzes „Anschwitzen“ mit Lauf ABC und einigen Steigerungen. Es tat mir einfach alles weh: Knie, Hüfte, Achillessehne. Das kann ja toll werden, aber muss vielleicht auch so sein. Dass diese Schmerzen an der Startlinie am nächsten Tag komplett weg waren, wusste ich zu diesem Zeitpunkt natürlich nicht.
Endlich soweit: Der Brocken-Marathon
Der nächste Morgen, der Tag des Brocken Marathons. Endlich wieder Normalität, Wettkämpfe wie „früher“. Ich freue mich einfach auf den Lauf, blende alles andere in meinem Leben aus. Start-Fotos, hier und da ein nettes Gespräch mit dem ein oder anderen Lauffreund*in. Auch Daniel ist aufgeregt. So läuft der doch seinen ersten Gebirgs-Marathon, Straßen-Marathons hat er schon einige gefinisht. Eigentlich war er für den Halbmarathon gemeldet. Als ich ihm – bei unserem gemeinsamen Lauf in den Harburger Bergen – erzählt habe, dass er dabei nicht auf den Brocken laufe, hat er auf Marathon umgemeldet. Recht spontan umgemeldet, innerhalb von zwei Wochen.
Marion, aus meinem Landkreis Uelzen, merkt man die Aufregung ebenfalls an. Ist schließlich ihr erster Marathon überhaupt. Und dies im zarten Alter von sehr junggebliebenen 57 Jahren. „Da hast Du Dir ja direkt den leichtesten Marathon ausgesucht“, sage ich zu ihr. Sie lächelt. Man merkt, dass sie Spaß am Laufen hat. Auch über 42,2km und 1.180 Höhenmeter? Kurz vor dem Start drückt mir Heike noch einen Glückscent in die Hand. Ich stecke diesen sofort in meine Tasche und fühle mich sehr gut dabei. Danke, liebe Heike! Glück kann jede(r) beim Marathon immer gebrauchen!
Der Gipfel ruft – nur bergauf ist schöner
Um 9 Uhr fällt der Startschuss, bei ca. 8 Grad und bedecktem Himmel. Nach wie vor nicht meine „Lauf“-Zeit. Ich bin keine Morgenläuferin. Obwohl ich immer früh aufstehe, erwacht mein Läuferkörper nicht vor 11 Uhr. Ist so. Auch heute. Rund 450 Läufer*innen sind wohl am Start, 433 sollen später das Ziel erreichen. Im Pulk geht es mit den anderen Läufer*innen die ersten Kilometer immer wieder bergauf. Bergauf? Sollte es nicht zuerst etwas flacher sein? Ich brauche doch immer erst eine recht ebene Strecke, um mich einzulaufen! Gut, ist nicht zu ändern. Es bringt richtig Spass. Die anderen Läufer*innen, die Wege. Selbst mein Körper scheint zufrieden und lässt mich „in Ruhe“, was bedeutet, dass ich keinerlei Schmerzen habe. Eigentlich ein Wunder nach dem gestrigen durch Schmerzen gekennzeichneten Abschlusslauf.
Nach 8 Kilometern erreichen wir Ilsenburg. Ab hier kenne ich jeden Meter bis zum Brocken. Und ich weiß, was jetzt folgt: ein stetiger Aufstieg bis auf 1.142 Metern Höhe, der Brocken Spitze. Jana, mit der ich die ersten acht Kilometer fast zusammen gelaufen bin, macht ein Selfie. „So frisch sehen wir nie wieder aus.“ Stimmt wohl. Dann rast mir die junge Läuferin aus dem Landkreis Uelzen bergauf davon. Die Jugend halt!
Es beginnt leicht zu regnen. Also Handschuhe an. Hauptsache die Finger sind warm! So langsam lichtet sich das Feld. Ich genieße das Ilsetal. Es ist einfach immer mystisch hier. Der rauschende Fluss, die Felsen, die Läufer*innen. Weiter geht es über den Hirtenstieg, dem Betonplattenweg entlang. Dieser stammt noch aus der Zeit der DDR und diente militärischen Fahrzeugen als Weg zum Brocken hinauf. Schwierig zu laufen, aber war ja ursprünglich nicht für Läufer*innen gedacht… Es wird steiler und steiler. Als ich vor rund vier Jahren das erste Mal hier gelaufen bin, dachte ich, dass es mir die Waden zerreißt. Jetzt habe ich mich einigermaßen dran gewöhnt. Kurve um Kurve schlängelt sich der Weg. Zu sehen ist wegen des starken Nebels nicht viel. Macht auch nix, ich kenne die Strecke. Und weiß, wie viele Kurven noch folgen, bis der Gipfel schließlich erreicht ist. Leider ist auch die Eckertalsperre nicht zu sehen. In meinen Trainingsläufen immer ein schöner Fotostopp mit viel Geschichte. Mitten durch die Staumauer der Talsperre verlief einmal die innerdeutsche Grenze. Kaum vorstellbar. Heute ein friedvoller Ort in wunderschöner Natur.
Am Eisernen Tisch (Kilometer 17) werden vom Veranstalter Westen als Wetterschutz ausgegeben. Die beiden Herren, die hier bei eisiger Kälte stehen, tun mir leid. Ich ziehe meine im Laufrucksack verstaute Regen-und Windjacke über. Das soll reichen.
Bald ist der Brocken-Gipfel geschafft. Schade, dass man nichts sieht. Vor allem für diejenigen, die noch nie auf dem Brocken waren. Immer wieder bin ich mir des geschichtsträchtigen Ortes bewusst. Bewegte Zeiten hat der Brocken erlebt. So diente der Gipfel während der DDR zu Überwachungs- und Spionagezwecken. Es gab zwei Abhörstationen, die fast den gesamten Funkverkehr in Westeuropa überwachen konnten. Unheimlich. Heute ein Besuchermagnet. Ein schnelles Fotos (wie immer!) muss her. Es ist immer wieder schön, den Gipfel erreicht zu haben! Jetzt aber schnell weiter – mit 4 Grad und Nebel doch etwas kühl…
Bergab – nur Runter ist schöner
Bergab – endlich laufen! Steil geht es die Brockenstraße herunter. Die wenigen Gäste der Brockenbahn schauen irritiert. Wieso hetzen und knallen wir den Brocken herunter? Es bringt Spaß. Die Anstrengung lässt nach. Ich weiß, dass dafür die muskuläre Belastung ungleich höher sein wird. Das Gefühl der Freiheit lässt mich fast fliegen. Ich muss mich bremsen. Es ist erst Kilometer 20 eines Marathons. Noch nicht einmal die Hälfte, obwohl diese in Läuferkreisen bei einem Marathon sowieso erst bei Kilometer 35 ist…
Weiterhin genieße ich den Lauf und mache mir Gedanken über den Harz. Hier hat es vor kurzer Zeit noch gebrannt. Viel ist nicht mehr da, vom einst üppigen Baumbestand. Mittlerweile wird es immer anstrengender, bergab zu laufen. „Ach was wäre ich froh, wenn wir jetzt ein Stück bergauf gehen könnten“, meint ein Mitläufer. Ein Stück Gehen wäre mir jetzt auch angenehm. Aber einfach so? Nein, ist schließlich ein Wettkampf. Und es geht immer weiter.
Die Verpflegungsstationen, die es ca. alle 6 bis 7 Kilometer gibt, sind immer wieder nett. Eine reiche Auswahl an Getränken und Essen (Schnittchen, Obst, Haferschleim… kenne ich noch vom Rennsteig). Ich nehme nur Wasser und fülle dies in meine Flask. Never change a running system. Auf Grund meines empfindlichen Magens vertraue ich nach wie vor nur meinen eigenen Gels. Es funktioniert.
Immer weiter geht es bergab. Leichte Krämpfe in den Beinen kündigen sich an. Eine Salztablette muss her. Diesmal ist mein Laufrucksack besser sortiert und ich finde den Beutel mit den Salztabletten und Elektrolyten schnell. Die Salztablette bekomme ich kaum runter, mir wird schlecht. Vielleicht sollte ich gleich eine zweite Salztablette nehmen, da mir sowieso schon schlecht ist? Guter Plan! Die zweite Salztablette „geht“ besser runter. Nun geht es mir besser. Es war vielleicht im nachhinein eine komische „Theorie“, aber sie ging auf.
Warm wird es. So langsam fühle ich die vorhergesagten 14 Grad und Sonne. Ich habe immer noch meine Wind- und Regenjacke an. Etwas faul gerade, diese auszuziehen. Keine unnötige Energie verschwenden. Da naht Abhilfe. Ein kleiner Hügel, den ich vielleicht gehen kann und dabei meine Jacke im Rucksack verstauen kann. Ein guter Plan! Und weiter läuft es es sich phantastisch im farbenfrohen Herbst, der leider im Harz an vielen Stellen nur kahl ist. Kilometer 30 naht, nur noch 12! Ich denke über das Marathon-Laufen nach. Gesund ist das nicht. Ein Marathon ist eine extrem Belastung für den Körper! Bergauf und bergab mit Gesamt 1.180 Höhenmetern machen es nicht besser. Was für eine muskuläre Anstrengung. Jetzt folgen noch zwei kleinere Hügel mit einigen Höhenmetern.
Die letzten Kilometer – nur Fliegen ist schöner
Dann wird runtergezählt. Nur noch fünf Kilometer. Ging dann doch schnell. Die letzten fünf Kilometer fliege ich gefühlt ins Ziel. Es bringt mir unendlich viel Spaß. Den letzten Kilometer laufe ich in einer Pace von 5:13. Es ist Kilometer 42 eines Marathons! Ach was war das schön!
Meine unendliche Lauffreude der letzten Kilometer wurde noch „von außen“ verstärkt. Schon während des Laufs, vielleicht bei Kilometer 25 wurde ich auf Ludmilla aufmerksam. Fotos zeigen, dass wir bereits bei Kilometer 8 nebeneinander liefen. Wir kannten uns vorher nicht. Während des Laufs sind wir uns immer wieder begegnet, haben uns in der Platzierung stetig abgewechselt. Mal war sie vor mir, mal ich. Dies setzte sich auch auf den letzten Kilometern entsprechend fort. Da allerdings entbrannte bei mir ein Feuer und der Ehrgeiz, so schnell wie möglich zu laufen… Ein kleiner Wettkampf, absoluter Spaß! Sie hat mich noch einmal richtig angespornt und motiviert. Manchmal braucht man so etwas. Fast den gesamten Wettkampf miteinander in der ähnlicher Geschwindigkeit bestritten: Das ruft vielleicht mal nach einem Team-Event wie dem Transalpine Run. So entstehen Läufer*innen-Verbindungen. Einfach zu schön!
Im Ziel bin ich glücklich. Glücklich es geschafft zu haben. Dies war nach der doch etwas verkürzten Vorbereitung und dem letzten Trainingslauf nicht unbedingt klar. Wie ist es denn eigentlich „Berg“-Marathon Neuling Daniel ergangen? War er glücklich mit seiner recht spontanen Entscheidung, von Halbmarathon auf Marathon umzumelden? „Bringt schon mehr Spaß, als nur die Straßen flach rauf und runter zu rennen.“ Er wirkt zufrieden und nicht gar so angestrengt. So geht es mir auch. Wie geht es wohl Marion, die ihren ersten Marathon überhaupt gelaufen ist? Sie hatte Respekt, sehr großen Respekt sogar. Sollte man immer vor einem Marathon haben, vor einem Berg-Marathon erst recht. „Es hat mich sehr entspannt, dass die Zeit egal war. Ich wollte es letztlich nur schaffen“, sagt sie überglücklich. Und wie sie es geschafft hat. „Ich konnte den Lauf genießen und war sehr dankbar und glücklich. Die ganze Zeit in dieser wunderschönen Natur ist einfach mega.“ Marion läuft seit 18 Jahren, meist ein bis zwei Mal pro Woche rund 7 Kilometer. Dies hat sie die letzten 5 Jahre kontinuierlich gesteigert. Dass dies auch mit über Mitte 50 noch geht, hat sie eindrucksvoll bewiesen. Hut ab vor dieser Leistung, liebe Marion!
Das Fazit
Einfach ein Genuss. Ich bin recht locker durchgekommen, bei weitem nicht ans Limit gegangen und einfach eine tolle Zeit mit vielen netten Menschen (auf/ neben der Strecke) gehabt. Mein „Ernährungs-Management“ ist im Vergleich zum Rennsteig und Zugspitz deutlich besser geworden. Trotz der wenigen Trainingskilometer ist es „gelaufen“, auch für ein kleines Gespräch während des Laufs reichte der Atem. Geht also auch. Ein kleiner Zahlencheck muss dennoch sein: Mit 4:41 Std. bin ich 31. Frau (von Gesamt 84) geworden. Platz 5 in meiner Altersklasse (von Gesamt 14). Dies alles als Flachländerin mit keinerlei Bergen/ Hügeln direkt vor der Haustür.
Toller Bericht Andrea und Glückwunsch zu deiner Leistung. Respekt….