Terra Raetica Trails? Davon hatte ich bis Frühjahr 2024 noch nie gehört. Durch meine Freunde von Trampelpfadlauf bin ich darauf aufmerksam geworden. Ein völlig neues Trailformat seien die zum zweiten Mal ausgetragenen Terra Raetica Trails. Kurz gesagt: Fünf Läufe an fünf Tagen in drei verschiedenen Ländern (Österreich, Schweiz und Italien), die sich letztlich auf 114,4 Kilometer und 7.119 Höhenmeter aufsummieren. Vielleicht eine gute Vorbereitung auf den Trans Alpine Run, den ich im September laufen werde? Kurzum habe ich mich angemeldet, da ich auch das Konzept der kurzen Wege zum Start- und Zielort überzeugend fand. Letztlich kann man während der gesamten Zeit an einem Ort (bspw. Pfunds) übernachten und fährt jeweils nicht mehr als 20 Minuten zu den jeweiligen Etappenstartorten. Auch die Etappenlänge zwischen 17 und 28 km sowie die Höhenmeter (1.080 bis 2.100hm) passten für mich.
Nun möchte ich Euch auf meine Reise durch die fünf Lauf-Erlebnisräume mitnehmen.
Tag 1: Thomas Penz Höhenweg im Kaunertal (Feichten, Österreich)
Gehört habe ich von diesem Höhenweg noch nichts, aber das ist ja gerade das Tolle. Das Kaunertal ist schön, das merke ich an diesem Morgen. Es wird oft auch als die wohl schönste Einbahnstraße Österreichs bezeichnet.
Komplett organisiert werden die ankommenden Läufer in die Parkplätze eingewiesen. Entspannt hole ich die Startunterlagen ab. So soll es sein. Schon bald formieren sich die Läufer um den Startbereich. Um diesen scharen sich bald einige „Cheerleader“, nämlich die Kindergarten-Kinder aus Feichten. Sie haben wedelnde Fähnchen in der Hand und werden nach dem Startschuss die Läufer anfeuern. Welch‘ schöne Idee. Dies wird uns noch die nächsten Tage begleiten. Wie bei jeder Etappe gibt es auch hier ein kurzes Strecken-Briefing, in dem wir schon auf ein kurzes Schneefeld hingewiesen werden. Die Bergrettung sei vor Ort. Dann kann ja (hoffentlich) nichts passieren.
Gleich nach dem Startschuss geht es bergauf. Nicht mein Ding, gleich zu Beginn die Höhenmeter „zu fressen“. Weiter und weiter geht es in Serpentinen hinauf. 17,10 Kilometer und 1.087 Höhenmeter sind es heute. Ein vergleichsweise kurzer fluffiger Einstieg, quasi zum Warmlaufen. Dies gelingt mir nur bedingt. Ich kämpfe mich den Berg hoch, muss mehrmals Pause machen. Irgendwie ist mir schwindelig. Start ist auf 1.284m Höhe, maximal gehen wir heute auf 2.138m. OK, ist schon höher als zu Hause, aber ich bin ja schon ein Weilchen in den Bergen unterwegs. Vielleicht liegt es auch an meiner „Ernährungs-Strategie“, die zu Beginn zu verhalten ausfällt. Kurz: Ich esse zu wenig, was ich sofort ändere. Ich werfe mir ein Gel ein. Man lernt nie aus.
Endlich ist der heutige Gipfel erreicht und wir laufen nun auf dem offiziellen Thomas Penz-Höhenweg, der nach dem im Kaunertal aufgewachsenen Dichter Thomas Penz benannt wurde. Einfach nur schön. Umringt von teils schneebedeckten Gipfel windet sich der schmale Pfad um die Berge. Im Hintergrund lauern die Gipfel des Schweikert (2.881m), Madatschkopf (2.783m) und Schwabenkopf (3.379m). Ein Paradies für jeden Trailläufer. Aufmerksamkeit ist allerdings geboten – teilweise gab es kleinere Erdrutsche und der Trail ist abgebrochen. Ein halber Fuß auf dem Boden muss hier reichen. Es bringt – trotz der 100% Konzentration – unglaublichen Trail-Spaß. Manchmal ist es rutschig, wir klettern auf Felsen, überqueren Flussläufe und halten uns am Seil fest. Auch gibt es ein kurzes, aber recht rutschiges abfallendes Schneefeld zu überqueren. Die Bergwacht ist anwesend, so wie überall auf der Strecke und überhaupt bei jeder Etappe der Terra Raetica. Dies gibt mir Sicherheit. Auch die Feuerwehr ist auf dem Trail präsent und immer bester Laune. Es bringt Spaß. Flowige Trails in beeindruckender Landschaft. Der Downhill wird technisch. Volle Konzentration ist hier wiederum gefragt, da der Boden von den Regenfällen der letzten Tage nass und rutschig ist. Die letzten Kilometer laufen wir auf einer Asphalt-Strecke ins Dorf. Ich müsste lügen, wenn ich nicht die letzten etwas für mich schnelleren Meter lieben würde. Ich lasse es laufen. Nach den anfänglichen Schwierigkeiten läuft es jetzt besser und rund.
Schon bei dieser ersten Etappe bin ich von der sehr guten Beschilderung der Strecken, den Verpflegungspunkten (VPs) und der tollen Organisation begeistert.
Tag 2: Frudiger Trail in Pfunds (Österreich)
Die bange Frage ist heute morgen: „Wie wird das Wetter?“ Hält es sich oder gibt es Regen oder gar Gewitter. Alles ist möglich. Wir haben Glück. Genau wie letztlich die gesamte Woche über. Wir haben bestes Laufwetter.
Der Start- und Zielbereich in Pfunds ist – genau wie bei allen anderen Etappen – sehr schön gelegen. Ich treffe im Startbereich Susi vom Runskills-Podcast. Ihr folge ich schon seit geraumer Zeit. Von ihr habe ich – vor allem in Puncto Ernährung – sehr viel gelernt. Sie läuft nur die heutige Etappe mit, da sie erst am Wochenende 100km in der Schweiz gelaufen ist. Genauso wie ich ist sie vom Format der Terra Raetica begeistert.
Auch heute peitscht uns der Lauf-Nachwuchs auf die Strecke ein. Diesmal sind es die Schulkinder von Pfunds. Es geht mal wieder zügig in die Höhe. Heute läuft es wesentlich besser bei mir. Ich habe meine Ernährungsstrategie geändert, sprich gleich mehr Kohlenhydrate vor und zu Beginn des Laufs zu mir genommen. Dies zahlt sich aus. Gut so. The Power is back. Gestern hatte ich mir schon Gedanken über mein Leistungsvermögen gemacht.
An interessiert schauenden Kühen und einem kleinen sehr zutraulichen Pony vorbei geht es nach oben, bis zum höchsten Punkt, dem 2.149m hohen Frudigerkopf. Dort werden wir von der Bergwacht empfangen. Die Jungs und Mädel sind hier an diesem Tag für die Fotos zuständig. Schön, wenn sonst nichts für die Bergwacht zu tun ist und alles verletzungsfrei zu verlaufen scheint. Auch heute dürfen wir einen wunderschönen schmalen Trail, wie aus dem „Trailrunning-Heaven“ genießen. Es ist einfach zu schön. Auch wenn ich mich immer noch beim technischen Downhill sehr schwer tue und eher auf Vorsicht setze, genieße ich den Trail. Der zweite Teil der Strecke verläuft über Forstwege und teils asphaltiere Straßen. Der heutige Streckenverlauf musste auf Grund von Forstarbeiten geändert werden. Deshalb ist der Asphalt-Anteil höher und damit auch meine Pace. Ich genieße das Laufen an blühenden Blumenwiesen und kleinen Almhütten vorbei. Genuss pur. Ich schalte den Kopf aus und werde später als „Asphalt-Racerin“ bezeichnet. Auch heute genieße ich alles, vor allem die extrem nette Trail-Community auf der Strecke. Es ist einfach nur schön, wie eine Familie. Bilanz des Tages: 24,09km und 1.247 Höhenmeter.
Tag 3: Piz Arina Trail in Vna (Schweiz)
Start der heutigen Etappe ist das wunderschöne, auf 1.623m Höhe gelegene Dörfchen Vna. Hier ist nicht viel los, nur wir sind da. Am Vorabend wurde der Parkplatz, auf dem der Start- und Zielbereich aufgebaut wurde, noch von der Gemeinde verschönert. Rasen gemäht, Pflanzen geschnitten, Beschilderung aufgehangen. So ist das in der Schweiz, genauer im Engadin.
Wie immer geht es zu Beginn bergauf. Immer höher, immer weiter. Wir laufen über wunderschöne Bergwiesen, traumhaft gelegenen „Swiss Alpine Meadows“. Es ist ein absoluter (Läufer)-Traum. Ich genieße es. Umringt werden wir von einer einmaligen schneebedeckten Gipfelwelt, auch dem auf 2.828,gelegenen Piz Arina. Es ist fast zu kitschig und kaum in Worte bzw. Fotos zu fassen.
Die Navigation ist heute etwas schwieriger. Auf Grund der noch recht großen Schneemengen in höheren Lagen musste der Veranstalter die Strecke ändern. Die teils noch massiven Schneefelder wären einfach zu gefährlich gewesen. Deshalb können wir nicht so hoch aufsteigen und nicht auf den Piz Arina. Eine absolut richtige Entscheidung. Die Sicherheit der Teilnehmenden geht vor. Wenigstens sehen wir den Berg und noch viele andere schneebedeckte Gipfel.
Die doch recht kurzfristige Streckenänderung wurde nicht in der den Läufern jeden Tag zur Verfügung gestellten GPX-Datei angepasst. Zudem ist nicht wirklich ein „Weg“, gar eine Markierung oder Pfeile erkennbar. Zwar wurde die Strecke markiert, aber auf Grund der weiten Landschaft ist diese teilweise nur schwer sichtbar. Mich stört es nicht. Ich laufe mit einigen anderen Läufern, mit denen ich schon die vorherigen beiden Etappen öfters zusammen gelaufen bin. Wir genießen ein sehr schönes Gemeinschaftserlebnis. „Wo geht es denn wohl weiter?“ ist eine der meistgesprochenen Sätze. Wir genießen die satt beblümten Almwiesen, überqueren rauschende Flüsse und Bäche. Wir freuen uns über nasse Füße und haben einfach nur Spaß. Natürlich gibt es wegen der vielen Regenfälle auch viel Schlamm auf der Strecke. Dieser lässt die Schuhe gleich um einige Kilo schwerer erscheinen, was uns ebenfalls nicht die Freude verderben kann. Über und unter Elektrozäunen geht es hindurch. Ein Läufer bleibt im Elektrozaun hängen und muss „befreit“ werden. Es ist ein unbefangener, unbändiger Spaß und ein tolles Gemeinschaftserlebnis. Ich genieße es in vollen Zügen und muss mich immer wieder umschauen. Das Bergpanorama ist der absolute Wahnsinn. Zwischendurch erinnern kleine Almen an Heidi. Wie habe ich diese Serie in meiner Kindheit geliebt.
Die letzten fünf Kilometer geht es auf einem Forstweg bergab. Ich habe Lust zu „ballern“. Und ich finde einen Komplizen: Ralf. Wir laufen gemeinsam und stacheln uns gegenseitig an. Es bringt Spaß. Wir laufen gemeinsam ins Ziel. Wie es den Beinen wohl morgen geht? Egal, ich habe jeden Meter genossen. Danke Ralf!
Bilanz des Tages – 19,17km und 1.091 Höhenmeter. In den nächsten beiden Tagen warten die härtesten, weitesten und höchsten Etappen! Ich freue mich!
Tag 4: Nauderer Höhenweg in Nauders (Österreich)
Heute steht mit 26,55 Kilometern und 1.588 Höhenmetern die zweitlängste und -höchste Etappe an. Start ist im Ortskern von Nauders. Auch hier wurden einige Ortsstraßen für uns gesperrt.
Der Startschuss fällt und es geht bald (wohin wohl?) nach oben. Hoch und höher. Schön und schöner. Der schmale Pfad ist einfach nur grandios. Wir sehen Edelweiß am Rande des Weges. Als erste Pflanze überhaupt wurde das Wahrzeichen der Alpen bereits 1886 unter Naturschutz gestellt. Vom Edelweiß auf dem Trail lasse ich meinen Blick gen Gipfel schweifen. Dort sehe ich einzelne Punkte, die sich bewegen: Läufer! Ok, da müssen wir also hoch. Wir steigen und steigen, teils durch Seil gesichert.
Die Umgebung ist einfach der absolute Wahnsinn. In der Ferne erblicke ich den Ortler, den mit 3.899m höchsten Berg Südtirols. Endlich ist der Gipfel erreicht. Ein Gipfelkreuz der Fluchtwand! Toll. Ich nehme mir Zeit, die einmalige Aussicht zu genießen. Die Alpine Landschaft hier ist einfach einmalig. Es bringt einen unglaublichen Spaß auf den alpinen Pfaden und Höhenwegen zu laufen.
Auf einmal wird der Weg versperrt. Kühe stehen mitten auf dem Pfad. Sie scheinen mich anzugrinsen. Nach einigen Erfahrungen habe ich sehr viel Respekt vor diesen schwergewichtigen Tieren. Ich nehme einen kurzen Umweg über eine abfallende Wiese. Die Kühe beobachten mich dabei. Was die wohl denken?
Aktuell plagt mich allerdings ein anderes Problem – der sogenannte Hungerrast. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, alle 45 Minuten ein Gel, Riegel oder Sonstiges zu mir zu nehmen. Über die traumhafte alpine Landschaft habe ich dies etwas schleifen lassen, was ich jetzt gut zu spüren bekomme. Erst mal essen. Es wird etwas besser.
Der Trail windet sich um den Berg, über Flußläufe. Rauf und runter. Ich versuche, meine Füße einigermaßen trocken zu halten. Wie an den vergangenen Tagen auch. Gelingt mir auch heute nicht. Egal – sie trocknen schnell wieder. Es gehört dazu! Nur allzu häufig fühle ich mich beim Traillaufen an meine Kindheit zurückversetzt: über Zäune klettern, auf allen Vieren den Berg oder ein Schneefeld runter, durch Flüsse laufen, den Matsch unter den Füßen spüren, sich einfach dreckig machen. Toll!
Endlich sehe ich nach ca. 20 Kilometern den nächsten VP. Mein Allheilmittel auf längeren Strecken: Cola. Gut, dass sie so viel davon haben. Es geht weiter. Eigentlich nur bergab denke ich. Auf einem Forstweg, was mir ja gut liegt. Das denke ich zumindest. Nein, auf einmal gibt es ein Hinweisschild und einen Abzweig. Es geht wieder auf einen Trail. Nach oben!!! Das kann doch nicht sein. Ich schaue mir die Wegweiser noch einmal genauer an, checke die Route auf meiner Uhr. Es ist eindeutig. Ich akzeptiere es. Bleibt mir auch nichts anderes übrigen. Rauf und runter geht es auf trailigen Abschnitten, mit Wurzeln, Steinen, Geröll etc. Die letzten Kilometer der Etappe hatte ich mir anders vorgestellt. Nun gut, hilft ja nichts. Eigentlich war mein Kopf auf fünf Kilometer „ballern“ und „Kopf ausschalten“ eingestellt. Schwierig, hier noch einmal die Konzentration für den teilweise technischen Trail aufrechtzuerhalten. Der Pfad wirkt wie ein Labyrinth. Rechts, links, rechts, links. Wir scheinen im Kreis zu laufen. Was sich die Veranstalter wohl damit gedacht haben. Aber eigentlich bin ich ja zum Traillaufen hier und nicht zum Forststraßen-Ballern.
Endlich sehe ich den Ortskern von Nauders. Ich laufe ins Ziel. Meine noch etwas vorhandene Hungerrast und das Kaloriendefizit werden bald mit einer Pizza ausgeglichen. Pizza geht immer.
Tag 5: Reschensee Trail ab Graun (Südtirol, Italien)
Südtirol, Italien – endlich! Start der mit 27,46 Kilometern und 2.106 Höhenmetern längsten Etappe ist heute Graun am Reschensee. Der Start- und Zielbereich liegt wunderschön direkt am See. Ich bin etwas aufgeregt. Wie wird es wohl werden? Nach vier Etappen? Es geht los, natürlich direkt nach oben. Auf Grund der Wetterlage (ab Nachmittag werden Gewitter, Unwetter etc. erwartet) gibt es heute strengere Zeitlimits, die aus Sicherheitsgründen unbedingt einzuhalten sind. Dies lässt der Veranstalter verlauten.
Der erste „Checkpunkt“ ist nach 10,1 Kilometern und 1.297 Höhenmetern. Cut off ist nach 2,5 Stunden. Hört sich erstmal entspannt an. Aber mit 1.297 Höhenmetern und den steilen Pfaden. Schaun wir mal. Wir gehen gemeinsam den Berg hinauf und unterhalten uns emsig. Ist das etwa eine Wandergruppe? Laufen kann ich diese dermaßen steilen Passagen nicht. Wie immer ist der Weg wunderschön, am fließenden Fluss entlang, durch den duftenden Wald. Es geht höher und höher. Nach ca. 2 Stunden und 10 Minuten erreiche ich den ersten Checkpunkt am Joggl (Endkopf) in 2.672m Höhe. Wir laufen zum Gipfel „hinaus“, andere Läufer*innen kommen schon entgegen.
Es wird kalt. Ich ziehe mir Halstuch und Ärmlinge über. Auf die Wind- und Regenjacke kann ich noch verzichten. Einfach in Bewegung bleiben. Am Endkopf wird meine Startnummer notiert, auch eine Fotografin macht mehrere Fotos. Respekt – bei dieser Kälte und dem unbändigen Wind. War das jetzt schon die höchste Erhebung? Wie immer habe ich mir die Strecke nicht im Detail angeschaut. Ich lasse mich gerne überraschen (was nicht immer gut ist!): Ich frage Ralf nach dem weiteren Streckenverlauf. Er lacht auf meine Frage hin, ob das der höchste Punkt der Strecke gewesen sei. Er zeigt auf die umliegenden Gipfel und Grade. „Dort laufen wir überall drüber. Schau mal ganz nach drüben. Siehst du den Gipfel? Da geht es hoch!“ Ach, ok. Das sieht extrem spektakulär, weit und hoch aus. Erstmal bin ich etwas geschockt, dann freue ich mich. Hoffentlich hält nur das Wetter und wird nicht noch windiger und kälter. Es geht weiter. Über schmale Pfade und teilweise endloses, auch loses Geröll. Über große Steine geht es hinüber, manchmal im Klettern und auf allen Vieren. Wir passieren den Angerlekopf (2.817m), den Habicherkopf (2.903m) und das Zwischenegg (2.829m). Die Ausblicke auf die Alpenwelt ist grandios, sofern es Nebel und Wolken zulassen. Ich schwebe über den Wolken. Ein grandioses Gefühl von Freiheit. So liebe ich es. So habe ich es mir immer erträumt. Die Wetterbedingungen wechseln ständig. Mal ist es extrem kalt, windig und zügig. Ich bin fast geneigt, meine Wind- und Regenjacke überzuziehen. Im nächsten Moment ist es wieder windstill, warm, fast drückend schwül. Eine derartige Erfahrung habe ich in den Alpen und überhaupt beim Laufen noch nie gemacht.
Der nächste „Abzweig“ führt uns zum zweiten Checkpoint und somit dann wirklich auf den höchsten Punkt der Etappe, der Mittereggspitze (2.909m). Die entgegenkommenden Läufer*innen berichten, dass leider die Wolken die Aussicht auf den Ortler verhindern. Schade. Trotzdem ist es schön, den Gipfel erreicht zu haben.
Am VP werde ich von der italienischen „Guardia di Finanza“ empfangen. Das italienische Finanzamt auf dem Gipfel? Später lese ich, dass die Guardia di Finanza eine Finanz- und Zollpolizei ist. Sie ist sowohl für Wirtschaftskriminalität als auch unter anderem für die Überwachung der Zoll- und Landesgrenzen zuständig. Ihr untersteht auch die Bergwacht. Damit ist sie die bekannteste und am weitesten verbreitete Polizei mit Bergrettung. Interessant. Die Verbindung zwischen Finanzamt und Bergwacht könnte ich mir in Deutschland eher nicht vorstellen.
Danach geht es nur noch bergab. Naja, geht so. Ich erreiche das Großhorn (2.603m). Der Weg ist steinig und hart. Der Abgrund ist nahe. Trittsicherheit ist hier gefordert. Ich laufe bzw. trabe mit vollster Konzentration. Über Wiesen mit Kühen geht es weiter bergab. Die Kühe sind schön aufgereiht und lassen mich stumm passieren. Sie haben wohl schon so einige Läufer gesehen. Von weitem höre ich ein euphorisches Klatschen und aufmunterndes Rufen. Es ist der Helfer vom letzten VP. Welch extrem nette Begegnung mit der „Finanzwacht“. Wir unterhalten uns leider nur kurz. Schließlich will bzw. muss ich weiter.
Nun aber geht es weiter bergab, Richtung Reschensee. Vorbei an der Grauner Alm, auf der einige Leute mir „Brava, Bravissima“ zurufen. Das beflügelt mich noch einmal. Nach knapp über sechs Stunden und 27,47 Kilometern (2.106 Höhenmetern) erreiche ich schließlich das Ziel am Reschensee.
Diesen Lauf muss ich erstmal verarbeiten. Ich kann mich nicht erinnern, jemals über so viele Grate und Gipfel in diesen rauhen Wetterbedingungen und „Abschnitten, die gefährlich sein könnten“ (wie Komoot es so schön beschreibt) gelaufen zu sein. Auch bei den bisher für mich spektakulärsten Läufen wie dem 6-tägigen Trans Alpine Run oder dem Madrisa Trail. Es war ein Erlebnis, fast ein Abenteuer. Abwechslungsreich, spektakulär, rau. Ich habe die unendliche Freiheit gefühlt. Auch heute haben mir die anderen Läufer, die Organisatoren sowie die Bergwacht Sicherheit gegeben. Ohne diese Unterstützung wäre es sicher schwierig geworden. Einmalig. Ich brauche noch Tage, um das einigermaßen zu verarbeiten. Ein wirkliches Erlebnis!
Insgesamt werden es an diesen fünf Tagen der Terra Raetica rund 114,40 Kilometer mit 7.119 Höhenmetern. Ich habe jede Etappe genossen, da jede einzigartig war. Ich kann die Terra Raetica nur jedem Trailläufer empfehlen. Ein tolles Event in grandiosen fünf Erlebnisräumen in Österreich, der Schweiz und Italien. Zudem eine grandiose Organisation, von der sich die meisten anderen Veranstaltungen ein Scheibchen abschneiden können.
Ich habe die Terra Raetica Trails hauptsächlich als Vorbereitung auf den Trans Alpine Run im September genutzt. Die Veranstaltung als „kleinen TAR“ zu bezeichnen wäre allerdings ungerecht, da sie ihren ganz eigenen (familiären) Charakter hat.
Photo Credits: Sportfotografie Innsbruck, Stefan B., Ralf B., Terra Raetica etc.
Hi Andrea,
ein wunderschöner Bericht. So gibt es eine bleibende Erinnerung an die tollen Tage.
Es war toll mit Dir Laufen zu dürfen und ich hoffe wir können das wiederholen.
LG Ralf
Hey Ralf!!
Vielen Dank!! Es war auch mir eine Freude und Ehre. Ja, unbedingt!!! 🤩
Liebe Grüße,
Andrea