Transalpine Run 2023

268 Kilometer und 15.330 Höhenmeter an 7 Tagen von Lech am Arlberg (Österreich) über die Schweiz nach Prad am Stilfserjoch (Südtirol, Italien) – kann ich das schaffen? Vor allem laufend und ohne Ruhetag. Ich würde einfach inspiriert, von dem Lauf und seiner Magie. Für viele ein Lebenstraum – einmal über die Alpen von Österreich über die Schweiz nach Italien. Einfach laufend, in einem Etappen-Rennen.

Begonnen hat alles damit, dass mir ein Freund das Buch „Transalpine Run“ von Sandra Mastropietro geschenkt hat. In ihrem Buch beschreibt Sandra den Transalpine Run (TAR) als eines der härtesten Etappenrennen der Welt. „Transalpine Run weckt Emotionen, macht neugierig und schafft Sehnsüchte. Lassen Sie sich zu Ihrem nächsten großen Lauf-Abenteuer inspirieren!“ Da schau’n wir doch mal, ob es auch bei mir klappt.

1. Etappe Lech am Arlberg – St. Anton am Arlberg 33KM, 1.800 HM

Ich bin aufgeregt vor dem Start. Mein erster TAR-Lauf, auf den ich so lange gewartet habe! Die Abläufe stimmen noch nicht so ganz. Ich suche gefühlt stundenlang in meiner Tasche herum, überprüfe tausendfach die Pflichtausrüstung. Die Zeitlimits, in denen ein bestimmter Kontrollpunkt erreicht werden muss (Cut offs), wurden heute um eine halbe Stunde verlängert, sollte mich also nicht kümmern. Wird es auch nicht. Ich schleppe meine Tasche zum Start. Es stehen schon hunderte von Taschen auf dem Expo-Gelände in Lech. Ein Meer aus orangenen TAR-Taschen. Sieht gigantisch aus. Ich bin in Gesellschaft, wie eigentlich immer in den nächsten sieben Tagen. Die TAR-Familie. Ich lenke mich gut ab.
Auf geht es in den Startbereich. Dort merke ich, wie ein offizieller Fotograf meine Wade fotografiert. Da ahnte ich noch nicht, dass mir das in den nächsten Tagen noch einiges an „Berühmtheit“ einbringen würde.

Der Startschuss ertönt. Ich trabe zu den Klängen von „Highway to hell“ los. Es ist toll. Einfach ein tolles Feeling, mit so vielen Menschen aus unterschiedlichen Nationen zu laufen. Auch wenn es für mich sehr früh ist. Dass es noch früher geht, werde ich in den nächsten Tagen erfahren. Ich freue mich am Laufen, an der Luft, an den Bergen, an der Gesellschaft. Es läuft. Ich bin aufgeregt, aber auch in gewisser Weise beruhigt. Ich kenne die Strecke schon, da ich im Juli von Lech nach Zürs einen Trainingslauf auf der Strecke absolviert habe. Es geht hoch, der erste Anstieg. Ich weiß, was mich erwartet. Es hat heute meine Temperatur, ca. 25 bis 28 Grad. Auf dem Berg knallt die Sonne. Ich bin eher eine Hitzeläuferin. Es gefällt mir. Der Anstieg zieht und zieht sich. Kenne ich ja. Am Gipfel auf 2.420 Metern steht Martin Hafenmair, unser Race Director. Wie auch in den folgenden sechs Tagen steht er immer am höchsten Gipfel der Strecke und begrüßt und klatscht jeden ab. Toll! Da wo Martin ist, ist der Gipfel. Ich genieße die Strecke. Genauso wie damals im Juli bei meinem Trainingslauf. Die Aussichten sind gigantisch. Den Downhill nach Zürs zelebriere ich mit zwei Italienern. Sie laufen nach Hause, also wie wir alle nach Südtirol.

Ich sehe Nina auf der Strecke und freue mich einfach nur. Zusammen laufen ist so schön. Es geht wieder rauf. Diesmal auf einer Skipiste. Ganz schön steil. Die ersten leiden unter den sehr heißen Temperaturen. Sehr steil für die erste Etappe, sagt eine Mitläuferin. Ja, finde ich auch. Aber auch dieser Gipfel wird – nach einer gefühlten Ewigkeit erreicht. Also wieder runter Richtung St. Anton. Hier laufen wir am Ziel vorbei und drehen noch eine Schleife durch die Stadt. Egal – bald ist das Ziel erreicht. Yeah – die erste Etappe ist geschafft. Ich bin glücklich!! Darauf gibt es erstmal ein schwarzes Vanielleeis. Interessant. Warm ist es, wir liegen relaxed in Liegenstühlen von Sponsor Volkswagen R. Schön! Das „Einlaufen“ und die „Akklimatisierung“ zum TAR haben also geklappt! Auf der Uhr habe ich schließlich 2.035 anstatt der 1.800 vorhergesagten Höhenmetern. Das wird sich in den nächsten Tagen auch nicht ändern.


2. Etappe St. Anton am Arlberg – Ischgl 30KM, 1.450 HM

Heute werden uns Höhenmeter „geklaut“. Anstatt 2.100 HM gibt es heute „nur“ 1.450 HM. Grund ist eine Straßensperrung am zweiten Anstieg, wodurch ein möglicher Krankentransport etc. nicht gewährleistet wäre. „Wir möchten, dass ihr alle sicher seid“, sagte Streckenschef Martin Hafenmair beim vorabendlichen Briefing. Recht hat er. Ich vertraue ihm total. Für heute werden wieder hohe Temperaturen vorhergesagt. Genau mein Wetter. Ich liebe diese Temperaturen und fühle mich wohl. Schneller bin ich dadurch auch nicht, aber darum geht es nicht. Es geht ums ankommen. Und ums genießen.

Der erste Teil der Strecke führt an einem rauschenden Fluss vorbei. Einfach nur wunderschön. Ich bin wie im Rausch. Ich genieße die Gesellschaft der vielen Läufer*innen und die einmalige Natur. Eigentlich möchte ich mich heute schonen. Nämlich schonen für morgen, wenn es an den ersten Marathon geht. Ein englischsprachiger Mitläufer gibt die Devise aus „Don’t get ..cked up for tomorrow.“ So ist es!

Mein Bekanntheitsgrad auf der Strecke wurde in der Tat gesteigert. Das „Tattoo-Foto“ meiner Wade gehörte zu den gestrigen Impressionen des Tages! Ich werde ständig darauf angesprochen und amüsiere mich. Schön! Ich sehe mein Tattoo ja selbst selten.

Es geht stetig bergauf. Nicht schlimm, ist ja nicht so warm. Ich friere fast. Eigentlich sollte ich Wüsten-Rennen machen. Das wären meine Temperaturen. Überall gibt es Bäche und Flüsse, an denen sich die Läufer’innen abkühlen. Wir sind schließlich auf dem Gipfel, 2.650 Meter heute. Nachdem ich gestern etwas die dünne Höhenluft gespürt habe, ist heute alles ok. Nun folgt der Abstieg. Ein für mich doch technischer Abstieg. Einige fliegen an mir vorbei. Sollen sie ruhig. Ich möchte kein Risiko eingehen und nicht stürzen. Technische Downhills sind nicht meine Stärke bzw. ich habe viel zu wenig Erfahrung damit. Stöcker raus, Stöcker weg. Wie laufe ich da am besten? Ich werde es auch bis zum Ende des Transalpine Runs nicht herausgefunden haben. Irgendwann komme ich in Ischgl an, ist ein schöner Einlauf dorthin. Ich genieße es wieder. Ist ja als Ski-Ort bekannt. Ich bin froh, die Etappe heute geschafft zu haben. Es war nicht meine. Leichte körperliche Abnutzungserscheinen sind vorhanden, Oberschenkel ziehen etwas. Das scheint wohl normal. Ab dem vierten Tag würde es nicht schlimmer, erzählen mir TAR-Veteranen*innen.


3. Etappe Ischgl – Galtür 42KM, 2.550 HM

Ischgl schläft am morgen noch. Klar, wir haben auch erst 8 Uhr. Ich finde es recht kühl, hoffentlich wird es bald wärmer. Für heute steht der erste Marathon auf dem Programm, zudem 2.550 Höhenmeter und 2.320 negative Höhenmeter. Schau’n wir mal. Umgeben vom Bierkönig und anderen „Mallorca like“-Locations fällt der Startschuss. Es geht durch Ischgl durch. Ein Wintersportort, der im Sommer schläft und nur durch uns Läufer*innen aufgeweckt wird. Von gestern weiß ich, dass Ischgl über einen Aufzug und unterirdische Rolltreppen verfügt. Dies sei für die betrunkenen Skifahrer*innen, damit diese den Weg ins Hotel zurück finden. OK, vielleicht sollte ich auch mal mit Skifahren beginnen… Wir laufen durch das „unterirdische“ Ischgl. Die Stimmung ist grandios. Es schallt, es wird gelacht. Vor allem, da es die Möglichkeit für einige gibt, auf den Rolltreppen zu laufen. Spart Körner für die weiteren 41 Kilometer. Auch ich laufe auf der Rolltreppe. Hat sich so ergeben. Die zweite Rolltreppe ist (leider..:-)) aus.

Weiter geht es nach draußen. Ein schmaler Single Trail. Es staut sich, wir stehen. Gefühlte Minuten lang. Der Weg ist schmal, einige Felsen säumen den Weg, Zäune müssen geöffnet und geschlossen werden. Es geht hoch hinaus. Wir wissen so ungefähr was uns heute erwartet. Den technischen Downhill, den wir gestern durch die erzwungene Streckenänderung hatten, müssen wir heute hoch. Aber dies ist erst der zweite Anstieg. Es wartet der erste. Es zieht sich. Aber es lohnt sich auch. Aus der Ferne sehe ich schon einen beeindruckenden Kamm. Gut, es sind noch nen paar Meter. Manchmal etwas demotivierend, wenn ich in weiter Ferne Läufer*innen kraxeln sehe. Hilft nichts. Es geht weiter und weiter, höher und höher. Ich erreiche fast die Spitze. Vor mir eröffnet sich eine unglaublich beeindruckende alpine Landschaft. Der absolute Wahnsinn. Und – ein Gipfelkreuz!!! Wie ich schon mehrfach geschrieben habe, liegen mir Gipfelkreuze sehr am Herzen. Ich sprinte zum Gipfelkreuz hin. Einfach nur toll. Der Ausblick ist einmalig. Hier einfach verweilen und eine Brotzeit genießen. Nun, wir haben noch einiges vor uns. Vielleicht ein anderes Mal. Für heute geht es erstmal weiter. Ich unterhalte mich angeregt. Über die „Leute zu Hause“. Meine Eltern werden jeden Zieleinlauf live vor dem Laptop verfolgen. Das jagt mir Gänsehaut über den Körper. Einfach toll, diese Unterstützung zu erhalten.

Der Downhill ist im weiteren Verlauf sehr technisch. Die Schweizer, Österreicher, andere Läufer*innen aus alpinen und nicht-alpinen Landschaften fliegen an mir vorbei. Manchmal etwas deprimierend. Es ist nicht meine Stärke, hieran muss ich arbeiten. Nicht so leicht, wenn man in Niedersachsen wohnt.

Der Anstieg von gestern wartet ja noch. Jeder weiß, was zu erwarten ist. Und es wird zäh und zieht sich. Meter um Meter, Stein um Stein versuche ich, meinen Körper in die Höhe zu stemmen. Irgendwann muss dieser Berg doch enden und der Gipfel in 2.680 Metern erreicht sein. Ich möchte endlich die Glocke von Streckenchef Martin hören. Endlich höre ich etwas. Es könnte aber auch eine Kuh sein. Oder vielleicht doch Martin? Ich unterhalte mich – wie so oft – mit einem meiner Mitläufer*innen. Am 50. Geburtstag den 50. Rennsteig-Supermarathon laufen – davon erzählt mir der Laufkollege. Zudem hat er einen ähnlichen Läufer, wie ich an der Wade tattowiert habe, an seinem Auto. Passt also. Ich werde abgelenkt und tatsächlich erblicke ich in der Ferne Martin. Welch eine Freude! Wie immer läutet und feiert er uns auf dem Gipfel. Es ist ein wahrer Genuss, ihn mit seiner Crew dort oben zu sehen. Er scheut keinen Anstieg. Wir auch nicht. Es eröffnet sich eine beeindruckende Alpenwelt mit einem malerischen Stausee. Einfach der absolute Wahnsinn. Es wirkt wie eine Fototapete.

Nach dem Anstieg folgt natürlich der Abstieg. Erst etwas technisch, dann habe ich mich wohl dran gewöhnt. Ab hier wird es der wohl schönste Lauf meines bisherigen Läuferlebens. Im Nachhinein kann ich nicht mehr beschreiben was los war. Ich bin gefühlt über die Wege, durch die Alpen, die hohen Berge, an Flüssen, über Felsen geschwebt. Das nennt man wohl Runner’s High. Ich bin mit mir und meiner Welt in diesem Moment extrem zufrieden. Einfach der Wahnsinn. Ich genieße jede Sekunde. Die Anstrengung verschwindet. Es geht an Almen und Bushaltestellen vorbei, von denen die Menschen mir zujubeln. Wahnsinn. Es motiviert einfach so. Ich bin so dankbar, dies alles machen zu dürfen. Vor allem heute, auf einen Montag. Die noch 15 Kilometer bis Gältur verfliegen nur so. Es ist schön warm. Absoluter Wohlfühlcharakter. Ich genieße mein Runner’s High.

Eigentlich wären es von Ischgl nach Galtür auf direktem Straßenweg nur 10 Kilometer gewesen. Den 32 Kilometer langen „Umweg“ sollte man in Kauf nehmen, denke ich mir. Ich unterhalte mich mit einem Niederländer. Wie hat er wohl trainiert? Klar, er hat ein dreistöckiges Haus. Seine Frau wollte sich schon scheiden lassen, als er Tag ein Tag aus die Treppen rauf und runter lief. Es geht alles. Am Fluss entlang geht es Richtung Galtür. Auf meiner Uhr stehen schließlich 43,13 Kilometer, die ich wohl nicht mehr vergessen werde und als meinen bis dato schönsten Lauf abspeichern werde. Zum krönenden Abschluss gibt es im Ziel noch einen Kaiserschmarrn. Läuft also für heute.


4. Etappe Galtür – Klosters 41KM, 1.600 HM

Heute geht es in die Schweiz. Länderübergreifende Läufe finde ich immer besonders spektakulär. Die Grenzen verschwinden einfach während eines solchen Laufes. Es könnten so einfach sein. Erstmal habe ich heute morgen andere Sorgen und zwar mit der Startzeit. Diese wurde wegen eines drohenden Gewitters auf 6 Uhr vorverlegt. Für mich, die ansonsten frühestens ab mittags laufen kann, ist das eine große Herausforderung. Auch das Frühstück fällt heute schlanker aus. Zum einen hat das Hotel um 4 Uhr noch kein wirkliches Buffet und zum anderen möchte mein Körper zu diesem Zeitpunkt noch keine Nahrung aufnehmen. Das ging vielleicht früher mal, nach einem ausgiebigen Disco-Besuch. Nun gut, andere Zeiten.

Ich wanke zum Start nach Galtür. Mit Stirnlampe. Zum Glück ist der Start nicht weit entfernt. Es ist ruhig in der Läuferschar. So langsam wird des anstrengend. Aber wie war das noch gleich – ab Tag 4 wird alles einfacher, weil die Schmerzen und Körperbeschwerden nicht noch schlimmer werden? We will see. Heute nehme ich zum ersten Mal die Zeitlimits wahr. Diese wurden von Streckenchef Martin etwas „sportlicher“ auf Grund des drohenden Unwetters gesetzt. Er möchte einfach niemanden mehr auf einem Berg haben, wenn ein Gewitter über die Region wütet. Das Argument kann ich verstehen. Trotzdem sorge ich mich. Ich möchte es unbedingt schaffen. 12,5 Kilometer mit ca. 600 Höhenmetern in 2,15 Stunden. Das sollte ja eigentlich zu schaffen sein, oder? Man weiß nie wie die Strecke ist. Also gebe ich vom Startschuss an etwas mehr Gas als sonst. Ist „im Ziel ankommen“ sonst „nur“ die Devise, so ist es hier auch das rechtzeitige Ankommen in der geforderten Cut off-Zeit. Es macht mir trotz der frühen Uhrzeit Spaß. Unsere Stirnlampen leuchten und verwandeln die sonst so einsame Bergstraße in ein Lichtermeer. Eine schöne Atmosphäre. Die Kühe sind auch schon wach und beäugen uns mit neugierigen Blicken. Klar, kann ich verstehen. Freiwillig so früh laufen. Jawohl, das mache ich gerade. Der Weg wird steiler, ich behalte meine Uhr und damit auch die Pace im Auge. Es passt. Ich erreiche das Zeitlimit am ersten VP sehr locker.
Von dort aus schlängelt sich der Weg über einen engen Single Trail, an Felsen vorbei durch eine wunderschöne Landschaft. Durch den schmalen Pfad habe ich Sorge, mit den Schuhen hängen zu bleiben. Ich nehme etwas Tempo raus, bin schließlich auch für den zweiten Cut Off gut in der Zeit. Es geht wieder hinaus. Schon bald werden nur noch 500 Meter bis zur nächsten Verpflegungsstelle (VP) angekündigt. Ich liebe diese Schilder. Nur wo ist der VP? Wir schauen nach vorne. Der VP liegt um die Ecke. „Das gute ist manchmal so nah“, sagt eine Mitläuferin. Recht hat sie.


Die Strecke ist einfach nur schön und verläuft auf einem breiten Weg durch die Berge. Zwischendurch bieten sich spektakuläre Aussichten auf die Täler. Wir klettern auf den höchsten Punkt der Strecke, 2.750 Meter. Viel Klettern, auf Felsen steigen etc. steht heute auf dem Programm. Es bringt mir sehr viel Spaß. Wenn ich es doch besser könnte. Vom Gipfel bietet sich ein spektakulärer Ausblick auf einen malerischen Stausee und glänzende Gletscher. Es geht runter. Dann wieder steil hoch. Das hatten wir nicht wirklich auf der Rechnung. Am Vorabend wurde uns angekündigt, dass die Strecke geändert wurde. Der zweite Anstieg wurde wegen des zu erwartenden schlechten Wetters gestrichen. Ich kraxel die Felsen hoch, halte mich an Steigseilen fest. Oben bietet sich zur Belohnung ein einmaliger Ausblick.

Nun geht es wieder runter. Von den Organisatoren war ein weiteres Seil zu unserer Sicherheit befestigt worden. Es hilft sehr. Höhenangst sollte man hier eher nicht haben. Auf der anderen Seite ist der Abgrund. Da schaue ich nicht hin. Ich konzentriere mich auf den Abstieg und setze einen Fuß vor den anderen. Einige scheinen nicht geschickter als ich, andere schon. Über Felsen geht es weiter. Gut, dass die Felsen auch hier vom Veranstalter mit einem roten Punkt markiert wurden. Es hilft so. Vor allem mir, als absoluten Kletterlaien. Die Strecke ist holprig, aber wunderschön. Ich genieße es wiederum. An VP 3 gönne ich mir erstmal in Ruhe eine Cola. Welch Genuss. Weiter geht es hier, rund neun Kilometer noch bis Klosters. „Mein Klosters“, wo ich vor erst rund 3,5 Wochen den Madrisa Trail (54 KM, 4.000 Höhenmeter) gefinisht habe. Ich freue mich drauf, jetzt wieder da zu sein. Der Weg zieht sich. Erst auf einem Waldpfad durch wunderschöne „swiss alpine meadows“, dann in den Wald. Wurzeln und Steine säumen den Weg. Das muss doch nicht sein, denke ich mir.

Zwei Damen der Medical Crew kommen mir entgegen. Sie erkundigen sich nach meinem Befinden. „Sehr gut“, sage ich ehrlich. Ob sie viel zu tun hätten, beantworten sie leider mit Ja. Die Hitze und die Anstrengung. Nun gut, ich bin ja gleich da. Der Weg zieht sich. Wir laufen durch Vorgärten in Klosters. Es geht wieder bergauf. Ein Mitläufer erzählt mir von Till Eulenspiegel, der gesagt haben soll, dass wenn es bergauf es dann auch wieder bergab gehe. Recht hat er. So ist es auch heute – auf dem Weg nach Klosters.

Ich entdecke das mir bekannte Klosters. Einfach schön, wieder hier zu sein. Der Fluss, das Städtchen, die grünen Wiesen. Ich sehe das Sportcenter, hier geht es rein. Am Eingang erinnere ich mich an meinen Zieleinlauf vor 3,5 Wochen. Ich hatte es damals nicht für möglich gehalten, den als sehr sportlich ausgezeichneten Lauf im Zeitlimit zu finishen. Auch heute schaffe ich es hier in Klosters locker mit dem Cut Off. Im Ziel gibt es Pommes und Pizza. Welch Genuss. Es war wieder ein einmaliger Lauf heute!!

5. Etappe Scuol – Motta Naluns Berg 7,5KM, 950 HM

Für den 5. Tag des Trans Alpine Runs ist die Königsetappe von Klosters nach Scuol geplant. 48 Kilometer mit 2.300 Höhenmetern, Start um 6 Uhr. Klosters, Hotel-Frühstücksraum um 4:30 Uhr: ein lauter Donner und ein heller Blitz durchdrängen den Raum. Die unzähligen müden Läufer*innen zucken zusammen. Eigentlich waren die Gewitter erst für den Mittag angesagt, weshalb wir zu einem frühen Start und sportlichen Zeitlimits aufgerufen wurden. Schau’n wir mal. Nachricht des Veranstalters: Treffen in der Halle, anstatt im Startbereich. Kein gutes Zeichen. Oder vielleicht doch für mich? Seit gestern abend fühle ich mich etwas schwach, die Nase beginnt zu laufen.

Rund 600 Läufer*innen versammeln sich mit Stirnlampen in der Halle. Eigentlich nicht nötig, da die Halle hell beleuchtet ist. Aber wir sind halt „lauffertig“. Es herrscht Gewusel. Die Organisatoren wirbeln umher. Ich bin relaxed. Drei Menschen mit Alpenhörnern betreten die Bühne und spielen uns ein Ständchen. Hammer – das um 6 Uhr morgens in Klosters. Nun betritt Heini, der Chef der Organisations-Agentur Plan B die Bühne. Kein gutes Zeichen, er gilt als Vermittler der schlechten Nachrichten. Uta, auch Chefin und seine Frau ist für die guten News zuständig. Er macht es kurz und bündig. Die Etappe wird wegen des schlechten Wetters abgesagt. Es seien für den gesamten Tag Gewitter und schlechtes Wetter in der Region zu erwarten. Wir sollen alle mit dem Zug nach Scuol, dem eigentlichen heutigen Ziel fahren. Dort sei heute Nachmittag ein Bergsprint geplant. Im ersten Moment freue ich mich. Mir geht es wirklich nicht gut. Eine Erkältung, die noch nicht weiß, wo sie hin möchte, bahnt sich an. Im nächsten Moment bin ich aber, wie so viele andere auch traurig. So gilt doch die heutige Etappe als eine der schönsten des gesamten Laufs. Und obendrein ist es noch die Königsetappe. Es ist nicht zu ändern.

Ich verbringe den Tag mit einem gemütlichen ausführlichen Frühstück und sehr netten Gesprächen. Das – diesmal sehr ausgewogene Essen – hilft. Ich fühle mich stärker, aber auch schwerer. Für den anstehenden Bergsprint, der als Ersatz angesetzt wurde, nicht ganz so optimal. Egal – Bergsprint ist eh nicht meine Stärke. Es gibt kein Zeitlimit und ich muss diesen nur finishen, da ich ansonsten aus der Wertung falle.

Es regnet in Scuol. Kurz vor dem Start hört es auf. Der Bergsprint ist unspektakulär durch den Wald. 7,5 Kilometer mit knapp 1.000 Höhenmetern. Schon eine Nummer. Oben angekommen wartet Nina auf mich und cheert wie so oft. Es ist einfach so toll. #tarfamily. Mir ist kalt. Während des gesamten Laufes habe ich die Schwächung durch die sich anbahnende Erkältung (und das üppige Frühstück…) gespürt. Wohn geht hier die Reise mit meiner Gesundheit? Erstmal an der Bergstation ordentlich essen, dann geht es mit der Gondel herunter. Wie wird es morgen? Kann ich laufen?


6. Etappe Scuol – St. Valentin auf der Haide 34,5 KM, 2.250 HM

Ich esse nicht wirklich viel an diesem Morgen, fühle mich geschwächt. Zum ersten Mal möchte ich am Start alleine sein. Ganz ruhig in mich hinein horchen und es vor allem ruhig angehen lassen. Bis zum ersten VP sind es 8,5 KM und ca. 1.300 HM. Schon ein ziemliches Brett. Ich nehme noch eine Flask extra mit. Viel trinken lautet heute die Devise. Ich bin unsicher, aber auch gleichzeitig freudig. Wir laufen heute nach Südtirol, Italien. Ich liebe Italien und vor allem Südtirol. Das muss doch klappen.

Langsam laufe ich heute los und versuche in einen Rhythmus zu kommen. Es gelingt ganz gut. Den ersten VP erreiche ich locker im geforderten Zeitlimit. Aber wo ist den die Zeitmessungsmatte? Habe ich diese übersehen? Ich frage meine Mitläufer’innen. „Da musst Du noch 300 Meter weiter wieder zurücklaufen.“ Ja, ja, netter Versuch. Ich laufe einfach weiter. Durch die Wetterlage haben wir heute „nur“ 2.250 und nicht die geplanten 2.730 Höhenmeter. Die Hälfte der Höhenmeter haben wir schon. Nun geht es zum höchsten Punkt des gesamten Rennens, auf 2.975 Meter. Bald höre ich Martin mit seiner Gipfelglocke. Ich bin glücklich, ich bin sehr vorsichtig mit sehr angezogener Handbremse gelaufen. Nun geht es (fast!) nur noch runter.

An einem Gatter steht die Medical Crew. Hier haben sie momentan einen anderen Job: „Benvenuti in Italia!“ Sie begrüßen alle Läufer*innen in Italien. Ich habe es tatsächlich geschafft, ich bin von Österreich über die Schweiz nach Italien gelaufen!!! Wahnsinn!!!

VP2 liegt an einem kleinen See. Malerisch hier. Und wir Menschen sind nicht allein. Um den VP herum hat sich eine Kuhherde postiert. Eine Kuh findet unsere Wasser- und Iso-Behälter sehr interessant. Ich auch. Sie ist zu neugierig und bleibt beharrlich stehen. Hilft nichts, dann nehme ich eben den anderen. Die Strecke schlängelt sich am Berg mit einem Single Trail entlang. Nur das Wetter lässt – wie erwartet – zu wünschen übrig. Es wird kalt – und nass. Ich krame zum ersten Mal meine Regenjacke aus. Schon wird es wärmer, welch Wunder…:-) War es mir anfangs zu anstrengend, die Regenjacke aus dem Rucksack zu holen, so bin ich doch froh über den Regen- und Kälteschutz. Die Strecke wird immer rutschiger, mittlerweile ist es eine absolute Matschpartie. Die mir entgegenkommenden Wanderer tun mir fast leid. Nicht das beste Wetter erwischt und dann noch die vielen Läufer*innen. Meine Stimmung ist auch nicht mehr so euphorisch wie zur ersten Etappe. Ich will eigentlich nur noch ankommen. Die Ohren gehen auf und zu. Naja, könnte ja auch an der Höhe liegen.

Nun geht es wieder bergauf. Sehr steil sogar. Das war auf dem Streckenprofil nicht wirklich erkennbar. Ist eben so. Ich fluche. Das muss doch nicht sein. Parallel fährt eine Seilbahn. Oben angekommen wartet die „Belohnung“ an VP3: Vegane und nicht vegane Hot Dogs. Ein Genuss! Besser als ein Feinschmecker 10-Gänge-Menü. Fast will ich noch einmal zurücklaufen, um mir einen weiteren Hot Dog zu holen. Einfach nur toll. Der Rest der Strecke verläuft steil abwärts. Ich stehe auf der Bremse, möchte nichts riskieren. Morgen steht die Schlussetappe an und diese möchte ich auf jeden Fall gut meistern. Der Downhill zieht und zieht sich. Es ist steil. Von oben hatte ich schon einen Blick auf den wunderschönen Reschensee erhaschen können. Nun liegt er vor mir. Welch eine traumhafte Landschaft. Hier komme ich noch einmal her.

Nun naht auch endlich das Ziel. Das Wetter ist jetzt schön, sommerlich. Im Liegestuhl mit toller Gesellschaft und italienisch typischer Pizza und Pasta entspanne ich mich. Noch eine Etappe, dann ist das „Ding“ gerockt!


7. Etappe St. Valentin auf der Haide – Prad am Stilfserjoch 40 KM, 1.650 HM

„Noch 40.000 Meter bis zum Ziel“, ruft der Moderator in die Läufer*innen-Menge. Was so überschaubar klingt, ist doch ein Brett. Wenn doch wenigstens die „3“ vorne wäre, aber so klingt es eher nach Marathon. Es hilft nichts, die Abschlussetappe. Ich bin froh, endlich ist der Start wieder um 8 Uhr. Erst um 8 Uhr? Niemals hätte ich, die sonst erst ab mittags laufen kann, gedacht, so etwas einmal zu sagen. Mir geht es heute besser. Viel besser. Die etwas moderatere und auf meinen Körper hörende Herangehensweise des gestrigen Tages hat sich bewährt. Nun möchte ich das „Ding“ nach Hause bringen. 1.650 Höhenmeter und 2.200 negative Höhenmeter. Es geht also deutlich mehr runter als rauf.

Es geht los. Die Läufer*innen-Karawane setzt sich in Bewegung. Wir laufen durch malerische Südtiroler Dörfer. Es geht rauf und runter. VP 1 ist schnell erreicht, schon nach 9 KM. Nicht 11,5 KM wie im Briefing. Leicht schmunzelnd hatte Race Director Martin am Vorabend gesagt, dass er sich bei den Kilometern schon mal verzählen könnte. Schenkt er uns wohl Kilometer am letzten Tag? Ich bin gespannt.

Es geht rauf, steil bergauf. Leider haben wir keine Sicht. Die Strecke wurde als eine der schönsten und malerischsten angekündigt. Wir können durch Nebel nichts sehen. Zu schade. Dann muss ich halt noch mal wiederkommen. Ich höre Glockengeläute. Ist das Martin oder eine Kuh? „Leider“ ist es eine Kuh. Bis Martin sind es noch ein paar Meter. Bespaßung anderer Art nähert sich: Zwei Dinosaurier. Ich habe Spaß.

Heute ist die Stimmung großartig und mir geht es viel besser. Kurz hinter den Dinosauriern steht Martin. Ich schlage ihn wie immer in den letzten sechs Tagen ab. Dabei gerate ich ins Stolpern, er hält mir die Hand. Good Job, Mr. Race Director. Kilometerlang muss ich über diese Aktion lachen. Und es rollt. Downhill, diesmal auch für mich nicht sonderlich technisch. Ich genieße die Landschaft, die anderen Läufer, die Freiheit – einfach alles. Ein wahrer Genusslauf. Es geht durch einen wunderschönen Wald, weicher Waldboden. Einfach nur toll und geschmeidig zu laufen.

„Nur noch 18 KM“ schreibe ich meinem Mann. Ich freue mich einfach. Das ist doch zu schaffen. Jetzt bloß nicht umknicken, weiterhin konzentriert laufen. An VP 3 wird Bier ausgeschenkt, ein Vorgeschmack aufs Oktoberfest. Ich freue mich aufs Zielbier. Kurz vor dem Ziel sehe ich Ingemar mit seiner süßen Husky-Hündin Blanca. Ich freue mich. Überhaupt – wieviele Kilometer sind es denn noch? Eigentlich wurden 40 KM angekündigt. Stimmung ist gut vorhanden, der Zielbereich wirkt so extrem nah. Manchmal wird man ja noch zehn Mal im Kreis geschickt. Ich bleibe verhalten und gehe nach wie vor von 40 KM aus. 35 KM zeigt mir meine Uhr an. Kurze Zeit später überquere ich die Zeitmessmatte, die immer ca. 300 Meter vor dem Ziel ausgelegt ist. Ich überquere bei KM 36,22 das Ziel.

Es ist einfach der Wahnsinn – 268 Kilometer und 15.330 Höhenmeter an 7 Tagen von Lech am Arlberg (Österreich) über die Schweiz nach Prad am Stilfserjoch (Südtirol, Italien). Ich habe es geschafft!!! Anstatt Recovery Drink gibt es heute „Blubberwasser“ mit Prozenten….Ich bin total überwältigt.

Als stolze Finisherin auf der abendlichen Leinwand!

Photo Credits: Sportograf.com, Plan B Eventagentur, Nina W., Martina K., Christian K., Klaus Fengler etc.

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